Kapitalismuskritik zwischen Anführungsstrichen: „the molten god“

Petals_of_Blood_zugeschnitten_aufgehellt

Folgenden Monolog legt Ngũgĩ wa Thiong’o einem fiktiven Anwalt in Nairobi, Kenya, in seinem Roman Petals of Blood in den Kopf und Mund [es handelt sich beim nachfolgenden Text um eine deutsche Übersetzung aus dem Englischen]:

Es ist traurig, es schmerzt, bisweilen werde ich wütend, wenn ich die schwarzen Zombies, schwarze animierte Cartoons betrachte, die des Beherrschenden Tanz zu des Beherrschenden Stimme tanzen. Das werden sie mit Perfektion tun. Wenn sie aber müde davon sind oder sollte ich sagen: wenn wir müde davon sind, wenden wir uns der Kultur unseres Volkes zu und missbrauchen sie… nur zum Spaß, nach einer Flasche Champagner. Doch ich frage mich: welche andere Frucht erwarte ich denn von dem, was wir gesät haben? Gleichwohl schaue ich zurück auf die vergeudeten Chancen, auf die versäumten Gelegenheiten: auf die Stunde, den Tag, die Zeit, als wir, an der Wegkreuzung, die falsche Abzweigung nahmen.

Aaah, das war eine Zeit, an die wir uns erinnern sollten, als die ganze Welt – motiviert durch unterschiedliche Beweggründe und Erwartungen – wartete, sagte: sie, die Afrika und der Welt den Pfad von Mannhaftigkeit und von schwarzer Wiedergutmachung zeigten – was werden sie mit der Bestie anstellen? Sie, welche die Speere der Krieger in dem Blut der weißen Profiteure wuschen, von all denen, die sie versklavt hatten zum Dienst für das geschmolzene Biest aus Silber und Gold – welchen Tanz werden sie nun in der Arena tanzen?

Wir hätten alles tun können, damals, denn unser Volk stand hinter uns. Doch wir, die Anführer, wählten den Flirt mit dem geschmolzenen Gott, ein blindes, taubes Monster, das uns hunderte Jahre lang geplagt hatte. Wir argumentierten: was falsch ist, ist die Hautfarbe der Menschen, die diesem Gott dienten; unter unserer Pflege und Vormundschaft werden wir den Monster-Gott zähmen und ihn unseren Willen durchsetzen lassen. Wir vergaßen, dass er schon immer taub und blind gegenüber menschlichem Leiden gewesen ist. Also errichten wir das Monster und es wächst und wartet auf mehr – und nun sind wir alle seine Sklaven. In seinen Schreinen knien wir und beten und hoffen.

Nun seht ihr das Ergebnis … Bewohner der Blue Hills, jene, die selbst die Priesterschaft des Dienstes am blinden Gott auf sich genommen haben … tausend Morgen Land … eine Million Morgen in den zwei Händen eines Priesters, während die Gemeinde nach einem Morgen stöhnt! Und ihnen wird gesagt: es ist nur eine Sammlung eures Schweißes … lasst uns aufrichtige Sklaven des Monster-Gottes sein, lasst uns ihm unsere Seelen geben … und die zehn Prozent, die damit einhergehen … denn seine Priester müssen auch essen … und wir sollen sie zu seinem Vasall bringen, der Bank … einstweilen lasst uns alle beten und der Gott könnte unsere Aufrichtigkeit und Inbrunst zur Kenntnis nehmen und wir könnten ein paar Krümel abbekommen.

In der Zwischenzeit wird der Gott groß und fett und strahlt sogar noch heller und regt den Appetit seiner Priester, denn das Monster hat, vermittelt durch die Priesterschaft, nur einen Moralkodex verfügt: Gier und Anhäufung. Ich frage mich: ist es fair, ist es fair gegenüber unseren Kindern?

Ich bin ein Anwalt … was bedeutet dies? Ich verdiene meinen Lebensunterhalt ebenfalls dadurch, dass ich dem Monster diene. Ich bin ein Experte in jenen Gesetzen, die dazu da sind, die Heiligkeit des Monster-Gottes und seiner Engel und die gesamte Hierarchie der Priesterschaft zu schützen. Nur dass ich entschieden habe, jene zu verteidigen, welche die Gesetze gebrochen haben und die exkommuniziert werden könnten. Zur Erinnerung: nur einige wenige, die auserwählten Wenigen, können gefällige Positionen in der Hierarchie finden. Und wohlgemerkt – und dies ist die Stelle, an der es schmerzt: es ist ihr Schweiß und dieser füttert die Katecheten, die Aufseher, die Diakone, die Minister, die Bischöfe, die Engel … die gesamte Hierarchie. Dennoch sind sie verdammt … verflucht.

Ich bin ein Priester, ein Bekenner des Vaters, und durch ein kleines Fenster sehend, sehe ich regelrecht auf die Seele der Nation … die Narben, die Wunden, das geronnene Blut … es ist alles auf ihren Gesichtern und in ihren Augen, so fassungslos. Sag‘ uns, sag‘ uns, bevor wir unsere Sünden bekennen: wer macht diese Gesetze? Für wen? Um wem zu helfen? Ich kann nicht auf die Fragen antworten … aber wie ich sagte: sie öffnen ein Fenster für mich, um die Welt zu sehen.

Ich frage mich: was ist passiert? Was ist nur passiert? Ich nehme all diese Bücher … ich lese, versuche Weisheit zu finden und den Schlüssel für die vielen Fragen. Unser Volk hat gesagt: Lasst uns keine Sklaven des Monsters sein; lasst uns nur beten und ringen mit dem wahren Gott in uns. Wir wollen all dies Land kontrollieren, all diese Industrien, um dem einen Gott in uns zu dienen. Sie kämpften … vergossen Blut, nicht dafür, damit ein paar in Blue Hills leben können und dem geschmolzenen Gott dienen, dem Gott außerhalb von uns, sondern damit viele vollauf leben können, wo auch immer sie leben. Die weißen Minister, die Niederlage schon vor Augen, wandten sich nun höhnisch grinsend zu den neuen Priestern. Seht diese Zerstörer an: wir gehen, ja, doch diese Leute werden ganz sicher all die Kirchengesetze zerstören … und wir, die in ihren Schulen gebildet wurden, hämmern auf unsere Brust: Wir – Zerstörer? Wir brechen das Kirchengesetz? Wir sind genauso zivilisiert wie ihr, wir werden nicht diejenigen sein, die den monster-god demontieren, und wir werden es euch beweisen. Ihr werdet beschämt darüber sein, dass ihr einmal all diese Zweifel uns gegenüber hattet.

[…]

Doch immer noch waren da die Zweifel und ich verstand das Ganze nicht. Wie konnte ich auch? Die Bildung, die wir erhielten, hatte mich nicht darauf vorbereitet, diese Dinge zu verstehen – sie war dazu gedacht, Rassismus und andere Formen der Unterdrückung zu vernebeln. Sie war dazu gedacht, uns dazu zu bringen, unsere Unterlegenheit ebenso wie ihre Überlegenheit und ihre Herrschaft über uns zu akzeptieren. Dann ging ich nach Amerika. Ich hatte in einem Geschichtsbuch gelesen, dass es der Ort war, an dem sie an die Gleichheit und die Freiheit des Menschen glaubten. […] Aa! Amerika, das Land der Freien und der Tapferen!

Ist es nicht das, was in Kenya seit 1896 passierte. Also sagte ich zu mir: ein schwarzer Mensch ist Zuhause nicht sicher; ein schwarzer Mensch ist im Ausland nicht sicher. Was hat das dann alles zu bedeuten? Dann sah ich in den Städten von Amerika auch weiße Menschen betteln … Ich sah weiße Frauen ihre Körper für ein paar Dollar verkaufen. In Amerika ist Mangel eine gut gehende Handelsware. Ich arbeitete Seite an Seite mit weißen und schwarzen Arbeitern in einer Fabrik in Detroit. Wir machten Überstunden, um ein kümmerliches Auskommen zu haben. Ich sah hohe Arbeitslosigkeit in Chicago und anderen Städten. Ich war verwirrt.

Also sagte ich: lasst mich in meine Heimat zurückkehren, nun da der schwarze Mann an der Macht ist. Und plötzlich, wie in einem Blitzstrahl, sah ich, dass wir dem selben Monster-Gott dienten wie sie es in Amerika taten … Ich sah die gleichen Zeichen, die gleichen Symptome und sogar die Erkrankung … und ich war so angsterfüllt … ich war so verängstigt … ich schrie mich an: wie viele Kimathis müssen sterben, wie viele mutterlose Kinder müssen weinen, wie lange soll unser Volk noch schwitzen, damit ein paar, ein paar, denen gegeben wurde, einige tausend Dollar in der Bank des Monster-Gottes aufbewahren können – eines Gottes, der für vierhundert Jahre einen Kontinent geschändet hat?

Und nun sah ich im klaren Licht des Tages die Rolle, welche die Fraudshams der kolonialistischen Welt spielten, um aus uns allen schwarze Zombies zu machen, die pornographisch in Blue Hills tanzen, während unser Volk an Hunger stirbt, während unser Volk sich keine angemessene Unterkunft und angemessene Schulen für seine Kinder leisten kann. Und wir sind froh, wir sind so froh, dass wir als stabil und zivilisiert und intelligent bezeichnet werden!


Literaturverweis:

Ngũgĩ wa Thiong’o (1977): Petals of Blood, Nairobi: East African Educational Publishers, S. 163-166
[ISBN 9966-46-094-2]