Narrative der (Gemeinwohl-)Tat: Ein Anfang

Es war einmal… blickt auf eine Vergangenheit.

Es ist nun so… meint die Gegenwart zu erfassen.

Es wird gewesen sein… sieht in die (vorweggenommene) vollendete Zukunft.

Geschichtenerzählen ist ein nicht wegzudenkender Teil menschlicher Kultur, dessen kreative (im Sinne von „erschaffende“) und motivierende Kraft die rein konservierend-bewahrende Weitergabe von Wissen übersteigt. Wir alle sind Geschichtenerzähler_innen an jedem einzelnen Tag: über uns; über Menschen, die wir (glauben zu) kennen und über Menschen, die wir (noch) nicht kennen; über das, was wir sehen, riechen, schmecken, fühlen, erleben; über die (uns zugänglichen Ausschnitte einer) Welt, in der wir leben. Jede dieser Geschichten sagt mehr über uns selbst aus, als über das, worüber sie vermeintlich etwas erzählen sollte.

Die Kulturtechnik Storytelling sollte damit Genüge getan worden sein. Der Gedanke hinter Narrativen der (Gemeinwohl-)Tat greift auf, was FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit als „Geschichten des Gelingens“ in ihrem umfangreichen Zukunftsarchiv bündelt. Und „aufgreifen“ ist hier nicht mit „to show some Copy&Paste-Love“ – was dem schlichten Kopieren der dortigen zweifellos gut geschriebenen Texte entspräche – zu verwechseln.
Wenn das Weitererzählen von Seiten der Stiftung mit dem fortgeschrittenen Deutschunterrichtsbezug im Namen, in dessen Vorstand ein gewisser Prof. Dr. Welzer sitzt (geübten Leser_innen dieses Blogs vielleicht nicht ganz unbekannt – sein aktuelles Buch: Die smarte Diktatur), ausdrücklich erwünscht ist… dann könnt ihr damit rechnen, dass sich einige davon – selbstredend in eigener gemeinwohltuender Erzählform – hier finden werden.

Andere Narrative der (Gemeinwohl-)Tat werden wir der zukunftsbefähigenden Stiftung vielleicht sogar voraushaben (oder hat jemand von euch dort z.B. schon Fairmondo entdeckt?) – ganz zukunftsweisend wäre das dann.
Lasst uns doch einfach gemeinsam diese Geschichten gelingender Gemeinwohltaten erzählerisch zusammentragen – seid eingeladen, jene gemeinwohltuenden Narrative zu finden, die wir uns gegenseitig erzählt haben werden…

Fairmondo stimmt eine zaghafte Internationale an

Wenn wir die reine Zahl der Crowdfunding-Kampagnen betrachten, mit denen Fairmondo seit 2012/2013 Geld eingesammelt hat, könnten wir uns die berechtigte Frage stellen: „Wann wird es denn endlich einmal gut sein?

Statement_Filiz

Und auf den Wortlaut geschaut, ist dies genau die richtige Frage, denn:
wann ist die Sache mit dem faireren, transparenten, genossenschaftlich organisierten Onlinehandel „auf einem guten Weg“? Wann ist es gut, woran all diese (ehrenamtlich) Engagierten im Team und eine Gemeinschaft von mehr als 2.000 Genossenschaftsmitgliedern seit Jahren (größtenteils unbezahlt) durchaus ermüdlich werkeln?

Die aktuelle Kampagne, die mit dem Stichwort der Internationalisierung steht, lässt erahnen, dass noch längst nicht alles gut ist (was ist das in diesem Zusammenhang überhaupt: Die Alternative zu den um sich greifenden Marktriesen geschaffen zu haben? Möglichst viele Genossenschaftsmitglieder zu gewinnen? Ausreichend hohe Umsätze und Provisionen für ein regelmäßiges, auskömmliches Einkommen für das Team zu generieren?) – aber: wird es denn besser?

Teamfoto_Fairmondo

Fünfstellige Besucher_innenzahlen und Händler_innenumsätze, dreistellige Marktplatzprovisionen, ein Abo-Programm mit geringen Margen… auch die reinen Geschäftszahlen für das laufenden Jahr 2016 sind jetzt noch kein Anlass, den faireren Online-Marktplatz in Nutzer_innenhand zum Selbstläufer zu erklären und die Hände beruhigt von der Tastatur in den Schoß sinken zu lassen.

Statement_Christoph Das Interesse aus dem Vereinigten Königreich (wäre das nicht ein wirtschaftlicher „Brexit“ der erwünschten Art?) und den Vereinigten Staaten (aus California käme dann auch einmal etwas, das nicht den Anspruch hat, die Welt durch Datensammlung und Monopolbildung zu verändern…) daran, unter dem Banner Fairmondo eine quasi grenzüberschreitende Fairhandelszone zu bilden, beflügelt nun jedenfalls noch einmal das Team.

Wenn die Genossenschaftsmitglieder dann ebenfalls die Flügel schlagen und noch einige Menschen mehr ihre Begeisterung für einen Online-Marktplatz entdecken, in dem sie nicht nur Nutzer_in sind, sondern auch Teilhaber_in und Teil einer internationaler werdenden Gemeinschaft, und sich und sich dann auch noch be(-an-)teiligen… dann ist es (vielleicht schon sehr bald) endlich einmal gut damit! Das wär’s – ihr macht es möglich!

Kapitalismuskritik in der Kritik: Peter Sloterdijk über „etablierte Sozialismen“

Der Philosophieprofessor und Rektor der Staatlichen Hochschule Karlsruhe Peter Sloterdijk macht sich in einem Interview in der aktuellen taz.zeozwei daran, die Sache mit dem Sozialismus und Neoliberalismus einmal (in seinen Augen) richtig zu stellen.

So warnte der Ex-ZDF-Fernsehphilosoph, nachdem der klimapolitische Scherbenhaufen von Kopenhagen bereits angerichtet war, vor einem

sozialistischen Klimatismus

im Sinne behaupteter linker Instrumentalisierung des Klimawandels zur vermeintlichen Durchsetzung des Sozialismus. Von diesem Spezialfall zeigt sich Professor Sloterdijk mittlerweile weniger besorgt – er betont jedoch, dass

wir genügend andere Sozialismen[… hätten], die so etabliert sind, dass wir nicht noch einen weiteren anfügen müssen.

Mit dem Wort „wir“ rechnet er sich übrigens, so lässt er uns später wissen, ganz im Rahmen der üblichen Verwendung

im Deutschen […] einer Gruppe von Personen mit einer gemeinsamen Sorge zu[…].

Es folgt Sloterdijks umfassende Zurückweisung der Anklage gegen einen

angeblich machthabenden Neoliberalismus

und der Vorwurf kontinuierlicher linker Truppenbewegungen

an der etatistischen Front

in Richtung höherer Besteuerung, zunehmender Regulierung und einem Anwachsen von Vorschriften, die beim

bürgerliche[n] Eigenleben

Luftnot hervorrufen würden. Der voranschreitende Ausbau des Sozialstaates bildet das Ende der von Sloterdijk ausgemachten Fesseln des Bürgertums. Diese mit Beispielen zu unterlegen (welche Steuern meint er, welche Regularien und Vorschriften und vor allem: welchen Sozialstaatsausbau?!) scheint ihm wohl nicht notwendig – wäre aber sehr aufschlussreich gewesen.

Dem Karlsruher Hochschulrektor zufolge würde der Neoliberalismus also im Rahmen der

größte[n] Nebelwerferaktion des letzten halben Jahrhunderts

(und trotz all diesen vermeintlichen Nebels doch: „offenkundig“) an die Macht geredet, an der jedoch tatsächlich bereits besagte Sozialismen seelenruhig säßen. Diese (für einen bedeutenden Philosoph der Gegenwart natürlich: leicht) „durchschaubare Finte“ pumpt er zur

klügste[n] ideologische[n] Machenschaft seit des Kollaps des Marxismus

auf, um sie dann – laut vernehmlich – platzen zu lassen.

Für Sloterdijk scheint – mit Ausnahme der von ihm selbst

da und dort [… beobachteten] Russifizierung des Konsumverhaltens[… im Sinne eines Benehmens] wie Konsumapokalyptiker[…, die aus Furcht vor morgiger Geldentwertung] auf die finale Party

setzen würden – keine Gefahr vom (wie beschrieben) nahezu machtlosen Neoliberalismus auszugehen. Eher vom zu wörtlich genommenen Evangelium („Macht euch die Erde Untertan“) und unserem „Individualismus auf Kosten der Welt„.

Was hätten wir nur ohne diese vorgeblich differenzierende Analyse getan? Wären wir dann wohlmöglich jenen

diabolischen Auffassungen von der Wirtschaft

der „ewigen Linke[n]“ erlegen, die seiner Einschätzung nach keine Mehrheit in den heutigen Gesellschaften Europas für sich beanspruchen könnten?

Sloterdijks unter dem deutschen „Wir“ subsumierten Sorgen angesichts einer vermeintlich bereits vollzogenen sozialistisch-etatistischen Machtübernahme könnten uns (als empathische Wesen) fast zu Tränen rühren… wenn es da nicht eine sozial-ökologische Transformation zu gestalten gäbe!


Literaturverweis:

Sloterdijk, Peter/Unfried, Peter (Interview) (2015): »Macht euch die Erde Untertan – ein fataler Satz«, In: taz.zeozwei, 04.2015, S. 50f.
[ISSN 2194-1246]

Postwachstumsskepsis: Edenhofer und die CO2-Steuer-Illusion

Global Commons and Climate Change“ stecken im Namen des Berliner Forschungsinstituts, dessen Direktor Ottmar Edenhofer ist. Und sein Chefökonomen-Posten in Potsdam bezieht sich auf „Klimafolgenforschung„. Im Weltklimarat steht er einer AG zur Milderung des Treibhauseffektes vor. Wie betrachtet dieser Mann eine Transformation hin zu einer entwachsenen oder auch: Postwachstums-Gesellschaft?

Den Leuten sei bislang noch nicht bewusst,

wie tiefgreifend der gesellschaftliche Transformationsprozess zur Begrenzung des Klimawandels

ausfallen müsse. Er verzeichnet eine Erweiterung des

traditionelle[n] Tugenkatalog[s]

und begrüßt diese in Form einer

Änderung des Konsumverhaltens

hin zu beispielsweise Fleisch-, Auto und Flugverzicht grundsätzlich. Er ist überzeugt: Ansichten, die uns glauben machen würden, dies genüge, führten in die Irre. Dann bricht schließlich das aus ihm heraus, was u.a. von Paech (2014) als Mythologisierungen von Fortschritt und Technologie begriffen wurde und unter „Fortschrittsillusion“ firmiert:

Wir brauchen Innovationen und technische Durchbrüche. Umweltschützer gelten als Behinderer und Miesmacher des technischen  Fortschritts. Es geht heute darum, dass wir dem technischen Fortschritt eine andere Richtung geben.

Diesen Richtungswechsel des Fortschritts glaubt Edenhofer über einen (dauerhaft steigenden) Preis für den Ausstoß von CO2 anschieben zu können:

Er wird die Wirtschaft nicht ruinieren, sondern Anreiz geben, Technik zu entwickeln, die weniger Treibhausgase ausstößt.

In seinen Augen ist

Umweltpolitik […] nicht primär Verhinderungspolitik, sondern bedeutet Ermöglichung, und zwar von technischem Fortschritt.

Intensitäten von Material, Energie und Kohlenstoff ließen sich auf diesem Weg verringern, gar eine Kreislaufwirtschaft in Gang bringen. Ein Glücksversprechen (Edenhofer erinnert in diesem Zusammenhang an die wunderbar heilsame Wirkung der Ökosteuer auf die Rentenkassen) inklusive.

Dann möchte Edenhofer gern noch den Ressourcenhunger von Wachstum differenziert sehen: er könne nicht erkennen, dass

jedes Wachstum im gleichen Umfang Ressourcen frisst.

Hinter diesen Worten würde Paech wohl zu Recht die „Mär vom ‚grünen Wachstum‘“ vermuten.

Dass eine gewisse Strecke auf dem Transformationspfad zurückzulegen sei, bevor Null-Emmission in Sicht kämen (2050 ist sein Zeitfenster fürsaubere Technologie„), will Edenhofer betont wissen. Nur losgehen müssten wir schon mal. Es erscheint ihm „aberwitzig„, was mit der „derzeitige[n] Debatte“ verknüpft wäre: wer könne denn ernsthaft wollen,

dass die Lebenserwartung nicht mehr zunimmt, das Gesundheitssystem nicht besser wird, das Bildungssystem auch nicht. Wir wollen kein Leid mehr lindern?

Was also meint er mit der „derzeitigen Debatte„, die sich letztlich um

Fatalismus, diese heimliche Lust am Untergang

drehe?

Es geht aus meiner Sicht nicht um Wachstumsverzicht. Das ist die völlig falsche Perspektive.

Wachstumsverzicht bedeutet der Logik von Herrn Edenhofer folgend also: Lebenserwartungsstagnation, Stillstand im Gesundheits- und Bildungssystem sowie eine Absage an die Linderung von Leid.
Im Gegensatz beinhalte der CO2-Preis einerseits die Erkenntnis,

dass wir heute zu viel Naturkapital verbrauchen und zu wenig in die kommenden Generationen investieren.

Andererseits sei dieses Preisschild für Kohlenstoffdioxid als Anreizsystem für

Strukturwandel[…,] Innovationen bei der Arbeits- und Ressourcenproduktivität

geeignet. Mehr Bildungs-, Forschungs-, Entwicklungsinvestitionen, auch mehr zur Armutsbekämpfung und ins Gesundheitssystem will Edenhofer aufgebracht sehen. Durchaus lobenswerte Einsatzfelder für die Gewinne aus der von ihm geforderten CO2-Steuer.

Will er aber letztlich nicht nur Kohlenstoffextraktivismus (vgl. Welzer 2013) besteuern, um in ein postfossiles Energieregime einzutreten, welches – nur scheinbar vom Ressourcenverbrauch entkoppelt – regelrecht begrünt weiterwachsen darf, um eine vermeintliche Stagnation des Glücks aufzuhalten?

Wer hier wohl noch nicht ganz dahin vorgedrungen ist,

wie tiefgreifend der gesellschaftliche Transformationsprozess

nicht nur fürdie Leute„, sondern auch für einenChefökonomender Klimafolgenforschung tatsächlich ausfallen wird…


Literaturverweise:

Edenhofer, Ottmar/Gersmann, Hanna (Interview) (2015): »Glück«, In: taz.zeozwei, 04.2015, S. 16f.; S. 20
[ISSN 2194-1246]

Paech, Niko (2014): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, 8. Auflage, München: oekom verlag, S. 25-36; S. 71
[ISBN 978-3-865-81181-3]

Welzer, Harald (2013): Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand, Lizenzausgabe, Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg, S. 18ff.
[ISBN 978-3-763-26634-0]

Postwachstum zwischen Anführungsstrichen: vom „Konvivialismus“

Aus einer technik- und kapitalismuskritischen Perspektive heraus legte der österreichisch-amerikanische Autor und Philosoph Ivan Illich (1975/2014) das Adjektiv „konvivial“ (laut Duden: ursprünglich lateinisch convivalis für „zum Gastmahl gehörend“) vor,

um eine Gesellschaft zu bezeichnen, die ihren Werkzeugen (dies können Techniken, aber auch Institutionen sein) vernünftige Wachstumsbegrenzungen auferlegt.

Diese Begrenzungen seien deshalb notwendig, weil ohne diese die Technik dazu neige, ihre Leistungen gegen die Menschen zu richten, denen sie doch Problemlösung und Freiheit verspreche. Niko Paech (2014) übernimmt dann auch Illichs Buch Selbstbegrenzung die Vorstellung einer „konvivialen Technologie„, die solche Hilfsmittel beinhalte,

welche zwar die Produktivität menschlicher Arbeitskraft erhöhen, diese aber nicht ersetzen.

Paech nennt markante Beispiele (Fahrräder, mechanische Rasenmäher, Segelschiffe)

für Technologien bzw. Designs, die vergleichsweise arbeitsintensiv sind, dafür aber umso weniger Energieträger, Fläche und Kapital benötigen.

Darüber hinausgehende Verkehrsmittel und Industrieprodukte sollten als sparsam ergänzend, quantitativ reduziert und innerhalb materieller Grenzen betrachtet werden.

Unter dem Begriff „Konvivialismus“ wird im konvivialistischen Manifest (2014) alles subsumiert, das

zur Suche nach Prinzipien beiträgt, die es den Menschen ermöglichen, sowohl zu rivalisieren wie zu kooperieren, und zwar im vollen Bewusstsein der Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und in der geteilten Sorge um den Schutz der Welt. Und im Bewusstsein unserer Zugehörigkeit zu dieser Welt.

Als eine

universalisierbare […] Lehre […], [… deren] konkrete Anwendung notwendig lokal und situationsabhängig sein

werde, schreiben ihm das Kollektiv der Convivialistes die folgenden vier Grundprinzipien zu:

    • Prinzip der gemeinsamen Menschheit

Es existiert nur eine Menschheit, die in Person jedes ihrer Mitglieder zu achten ist.

    • Prinzip der gemeinsamen Sozialität

Menschen als soziale Wesen sind von ihren sozialen Beziehungen bestimmt.

    • Prinzip der Individuation

Ermöglicht werden müsse, die Entfaltung der Individualität, die Entwicklung eigener Fähigkeiten, frei sein und handeln zu können – nur begrenzt durch das Gebot der Vermeidung von Schäden gegenüber anderen Menschen.

    • Prinzip der Konfliktbeherrschung

Der Ausdruck der eigenen Individualität kann eine legitime Form des Opponierens gegeneinander hervorrufen. Den bindenden Rahmen bildet hier die „gemeinsame Sozialiät“ im Sinne einer schöpferischen Rivalität anstelle einer zerstörerischen.

Dem in eine manifeste Form gegossenen Konvivialismus eine greifbare Entsprechung in unseren realen Gesellschaften zu verschaffen – dazu dürfen wir uns aufgerufen fühlen.


Literaturquellen:

Paech, Niko (2014): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, 8. Auflage, München: oekom verlag, S. 59
[ISBN 978-3-865-81181-3]

sowie

Adloff, Frank/Leggewie, Claus (Hrsg.) (2014): Das konvivialistische Manifest. Für eine neue Kunst des Zusammenlebens, Bielefeld: transcipt Verlag, S. 11; S. 59-62
[ISBN 978-3-837-62898-2]

äquivalente Internetquelle:

diekonvivialisten.de

Postwachstum zwischen Anführungsstrichen: von „Prozessen des Aufhörens“

Luise Tremel (2015) sieht den Anlass der von ihr und anderen geforderten sozial-ökologischen Transformation nicht etwa in dem

Drang zur Eneuerung, sondern [… vielmehr in der] Erkenntnis, das etwas aufhören muss – die gigantische Produktion von CO2, die Ausbeutung aller in der Welt aufzufindenden Rohstoffe.

Ein aktives Aufhören sei notwendig angesichts der

Beharrungskräfte des Status Quo

bzw. eines

etablierte[…n] System[s] der Ausbeutung

in Wirtschaft und Gesellschaft.

Ihrer Einschätzung nach unterliegen

Prozesse des Aufhörens einer anderen Logik als Prozesse des Anfangens

und so stellt sie drei Thesen zur Logik der ersteren auf, die sie aus einer vermeintlich „gelungene[n] Abschaffung“ ableitet – jener der Sklaverei im atlantischen Raum:

  1. Abschaffung lässt sich nur realisieren, wenn alle an ihr beteiligt sind – womit der Staat in den Mittelpunkt rückt.
  2. Eine politische Mehrheit für ein Verbot/die Abschaffung ist nur über eine besondere Form der Kommunikation zu erreichen: das moralische Problem rückt ins Zentrum, die „Post-Abschaffungs-Zukunft“ wird vage gehalten, aber mit dem Prädikat „gut“ versehen – das Abzuschaffende ist ja seinerseits schlecht.
    Ziel: Kleinprofiteure sollen sich gegen die bestehende Ausbeutung aussprechen können. Gefahr: Eskalation ist absehbar, wenn Profiteure nicht zustimmungsfähig sind.
  3. Die (gesellschaftliche) Auseinandersetzung, welche die Transformation angestoßen hat, formt gleichzeitig die Gestalt der transformierten Gesellschaft.
    Mögliches Ergebnis: Es fehlt der vormals ausgebeuten Gruppe (Menschen des Globalen Südens, nachfolgenden Generationen, Tieren) bzw. dem Gut (hier also der natürlichen Umwelt) an weiterführenden Begleitung und zugleich schmerzt der Verlust der „ausbeutungsbedingten Privilegien„, auf den die Gesellschaft ihrerseits (z.T. bewusst) kaum vorbereitet wurde (siehe These 2).
    Gefahr: das „Funktions- und Machtsystem“ hinter der Ausbeutung konsolidiert sich trotz offizieller „Abschaffung“.

Tremel beabsichtigt mit der Präsentation ihrer Thesen angeblich vor allem,

sowohl die Auseinandersetzung als auch den Ausstieg für die abschaffende Gesellschaft und das Objekt der Ausbeutung glimpflicher zu gestalten als etwa bei der Sklaverei.

Sie spricht in diesem Zusammenhang von „gerichtete[n] Innovationen„, die auf die Substituierung bisheriger Lösungen zur Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse zielen.
Möglicherweise ist in ihrem geplanten Sammelband Innovation – Exnovation dazu schon bald genaueres (vor allem: praktischeres) zu erfahren.


Literaturverweis:

Tremel, Luise (2015): Etabliertes loswerden?, In: taz.zeozwei, 03.2015, S. 58
[ISSN 2194-1246]

Kapitalismuskritik zwischen Anführungsstrichen: „Energiesklaven“-Metapher

Das „fossile Energieregime“ unserer Zeit stellt weit mehr als nur eine spezifische Form der Energieversorgung dar. Das wird uns spätestens dann bewusst, wenn wir dessen Verschränkungen mit den Gewohnheiten unseres Lebens – von Freizeitaktivitäten bis hin zu Konsum- und Mobilitätsmustern – erfassen.

Bereits 1949 beschrieb der rumänische Schriftsteller und Diplomat Constantin Virgil Gheorghiu in seinem Roman 25 Uhr (1949/1951) einen „technischen Sklaven“ als

Gefahr, die alle Menschen bedroht

aufgrund der Besetzung der

lebenswichtigen strategischen Positionen unserer Gesellschaft, Armee, Verkehr, Versorgung und Industrie, um nur die Kardinalpunkte zu erwähnen

durch eben diesen „technischen Sklaven“ in einer ebensolchen Weltordnung,

der uns täglich tausenderlei besorgt. Er bewegt unser Auto, er zündet unser Licht an, er läßt das Wasser über unsere Hände fließen, wenn wir uns waschen, er […] erzählt uns erheiternde Geschichten, wenn wir den Knopf an unserem Raido drehen, er baut Straßen, durchschneidet Berge!

In Niko Paechs Befreiung vom Überfluss (2014) verweist der Begriff „Energiesklave“ – im Sinne von Gheorghiu – als

elementarer Stützpfeiler des modernen Lebens

auf eben solche technischen Innovationen/Hilfsmittel/Werkzeuge, welche der Verwandlung von

vormals körperlich zu verrichtende Arbeiten in maschinelle, elektrifizierte, automatisierte, digitalisierte, dafür aber umso energieabhängigere Vorgänge

Vorschub leisten.

Jean-François Mouhot (2011) geht sogar so weit, unsere Abhängigkeit hinsichtlich der Nutzung fossiler Energieträger mit jener des Herren von der Sklavenarbeit in Sklaverei-Gesellschaften zu vergleichen (vgl. Sommer/Welzer 2014). Selbst auf moralischer Ebene muss diese Analogie als angemessen gelten, denn letztlich fügen wir – beabsichtigt oder nicht und wenn auch zeitlich wie geografisch versetzt – anderen Menschen Leid zu durch unseren Einsatz fossiler Brennstoffe und den damit verbundenen Treibhausgasemissionen.

Zuspitzung findet dies noch in der Metapher desEnergiesklaven“ von John R. McNeill (2005), die Sommer und Welzer (2014) wie folgt entfalten: Demnach

benötigte zum Ende des 20. Jahrhunderts ein Mensch zur Aufrechterhaltung seines Lebensstandards durchschnittlich 20 solcher »Energiesklaven«, also das Äquivalent von 20 Arbeitskräften, die 24 Stunden pro Tag und 365 Tage pro Jahr für ihn arbeiten

würden.

Fragen wir uns alle für einen Moment: Wie viele „Energiesklaven“ halte ich mir, um meine gewachsene Komfortzone aufrechtzuerhalten? Oder halten wir es auch weiterhin mit Franz Beckenbauer und seiner Blindheit für Sklaverei – selbst dann, wenn sie (auch in seinem Namen) ganze Stadien errichtet?


Literaturquellen:

Gheorghiu, Constantin Virgil (1951): 25 Uhr, 4. Auflage, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, S. 58-68
[ISBN nicht verfügbar]

Paech, Niko (2014): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, 8. Auflage, München: oekom verlag, S. 40f.
[ISBN 978-3-865-81181-3]

sowie

McNeill, John R. (2005): Blue Planet. Die Geschichte der Umwelt im 20. Jahrhundert, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 3
[ISBN 978-3-893-31643-4]

Mouhot, Jean-François (2011): Past connections und present similarities in slave ownership and fossil fuel usage, In: Climatic Change, Volume 105, Issue 1-2, Cham: Springer International Publishing S. 329-355
[ISSN 1573-1480]

beide nach:

Sommer, Bernd/Welzer, Harald (Hrsg.) (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München: oekom verlag, S. 62
[ISBN 978-3-865-81662-7]

Faire Kiste als kleiner Welt(bauch)laden

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Fairer Handel – im Gegensatz zu den vereinzelten, fairwaschenen Sortimentsaufhübschungen im Discount-/Supermarkt-Regal sind (Eine-)Weltläden glaubwürdige Umschlagplätze für v.a. Lebensmittel aus Ländern dieser Erde, in denen der sog. Weltmarkt mit seinem ungebrochenen Freihandelsparadigma den Kleinbauern und -bäuerinnen keine existenzsichernden Preise zu zahlen bereit ist. Nun ist die vermeintliche Freiheit des Handels offensichtlich keine Garantie für Fairness oder gar Gerechtigkeit im Verhältnis zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden – hier lässt sich vielmehr unschwer ein neokolonialistisches Kontinuum erkennen.

Welchen Platz kann unter solchen Marktbedingungen ein abgespeckter kistenförmiger Welt(bauch)laden einnehmen? Damit lassen sich weiße Flecken einer Weltladen-Infrastruktur immerhin übergangsweise kompensieren. Zudem können auf diesem Weg faire(re) Produkte auch an Menschen herangetragen werden, die sonst vielleicht nie einen Fuß in einen Weltladen setzen würden.

Wenn ihr selbst eine solche Faire Kiste erwerben, aufstellen und bestücken wollt, dann ist die Fair-Handels-Beratung mit ihrem bundesweiten Netzwerk sicherlich ein geeigneter Erstkontakt. Für Mecklenburg-Vorpommern (und ggf. auch darüber hinaus) bietet die Ökumenischen Arbeitsstelle der Evangelischen Kirche in Rostock ein konkretes Angebot: 20 Euro für eine Kiste, wie sie oben zu sehen ist – nur die Produkte müssen dann noch besorgt werden. Hierfür ist eine Zusammenarbeit mit stationären Eine-Welt-Läden in eurer Region empfehlenswert, die auch bei der Produktauswahl unterstützend zur Seite stehen können.

Postwachstum zwischen Anführungsstrichen: über „Radikale Ökopsychologie“

Andy Fisher (Psychotherapeut, Wildnislehrer und Dozent) möchte eine Psychologie für eine ökologische Gesellschaft etablieren und verwendet das Wort „radikal“ dessen Herkunft entsprechend: also im Sinne von „zur Wurzel vordringen“, was für ihn bedeutet,

sich mit den Dingen in der Tiefe auseinanderzusetzen und dabei zum Aufbau einer neuen Gesellschaft beizutragen. […] Folglich fordern radikale Ökologen, dass die ökologische Krise auf der systemischen Wurzelebene anzupacken sei: kulturell, gesellschaftlich, politisch, ökonomisch, philosophisch, historisch – und psychologisch. Darüber hinaus erklären sie, dass die ökologische Krise nicht bloß nach politischen Reformen und etwas grüneren Lebensstilen rufe, sondern nach einer historischen Transformation,

an deren Ende eine völlig veränderte Gesellschaft stünde, die Fisher kurz als „ökologische Gesellschaft“ deklariert. In dieser würden sich

Produktiv- und Konsumkraft […] in die größere »Gesellschaft der Natur«

einfügen und dem Leben auf unserer Erde könnte Gelegenheit zur Regeneration gegeben werden. Was nun die Psychologie betreffe, müsse ein

Konflikt zwischen dem Hauptziel der Psychologie – dem Wohlergehen des Menschen – und dessen anthropozentrischer Missachtung des Wohlergehens der Erde als Ganzer

thematisiert und angegangen werden. Eine

Synergie zwischen persönlicher und planetarer Gesundheit

gelte es ins Bewusstsein zu rufen. Fisher geht noch ein Stück weiter und stellt eine quasi-natürliche Verbindung zwischen Radikaler Ökopsychologie und Kapitalismuskritik her, da

sich die Psychologie die individualistischen, marktwirtschaftlichen Ideologien unserer kapitalistischen Gesellschaft zu eigen gemacht

habe und damit einen Pakt

mit den Kräften eines naturbeherrschenden Gesellschaftssystems [… eingegangen sei], das nicht nur die Erde malträtiert, sondern auch den Menschen immenses Leid zufügt, ja, die menschliche Natur ausbeutet und knechtet.

Für Fisher ist

eine extraktivistische Gesellschaft, die weiterhin Kapital aus der brutalen Ausbeutung der mehr-als-menschlichen wie auch der menschlichen Natur schlägt,

von Konkurrenz, Unsicherheit und Niedertracht gekennzeichnet. Wir müssten

uns der Infiltration unserer sozialen Beziehungen durch das kapitalistische System widersetzen

und so zu einer

Kultur der Verbundenheit

kommen, welche die Mensch-Natur-Beziehung auf eine ursprüngliche, respektvolle Grundlage stellen würde.

Klassisch psychologischen bzw. psychatrisch Kategorien wie Narzissmus, Depression und Sucht ließen sich laut Fisher leicht auf die

Mechanismen einer Gesellschaft [zurückführen], deren oberste Priorität die Akkumulation von Geld ist[…].

Er begreift die Radikale Ökopsychologie als geradezu notwendigerweise kritische Psychologie, wenn sie ihrem Anspruch, zu den psychologischen Wurzeln der ökologischen Krise vorzustoßen, gerecht werden wolle. Ihre Theorien müssten

die komplexe Verwobenheit zwischen Gesellschaft, Ökologie und Psychologie nachzeichnen[…]. Die durch eine solche Theorie informierte Praxis muss wiederum wiederum Veränderung auf der kulturellen und gesellschaftlichen – nicht bloß auf der individuellen – Ebene anstreben.

Wie genau der von Fisher angedachte radikal-ökopsychologische

Dreiklang aus Therapie, Wiedererinnerungsarbeit und Kritik der kapitalistische Verwertungslogik

konkret aussehen soll, deutet er am Beispiel einer „Wildnisbewegung“ leider nur an. Hier wären spannende Narrative der Gelingens angebracht. So lange verharrt die Radikale Ökopsychologie wohl im Wollen.


Literatur- und Internetquelle:

Fisher, Andy (2014): Mensch, Natur, Psyche. In: oya, 5. Jahrgang 2014, Ausgabe 28, September/Oktober 2014, S. 58-59

Postwachstum zwischen Anführungsstrichen: über eine „licence to grow“

Martina Merz will in ihrem Kommentar Degrowth? Ach was! unter der Rubrik Neue Wirtschaft in der aktuellen Ausgabe (03.2015: Essen & Kämpfen) der taz.zeozwei – Das Magazin für Klima. Kultur. Köpfe weg von den in ihren Augen

verkopften Begriffe[n] und Systemerklärungsversuche[n]

wie Postwachstum und Degrowth – sie gingen quasi nichtssagend

an der unternehmerischen Realität vorbei.

Später stellt Frau Merz – neben der E-Fahrrad-Branche – vor allem

Biofirmen, ethisch-ökologische[n] Banken[…] und andere[n] ökologisch-soziale[n] Unternehmen

eine umfassende wie plakative

»licence to grow«

aus, mit der diese dann unter anderem

das Böse […] verdrängen

könnten. Diesem erklärten „Bösen“ stellt sie (ganz dualistisch) ein vermeintlich

gutes Wachstum

gegenüber, welches legitim sei und nur der politischen Förderung bedürfe, um den Menschen eineRechnung“ darüber vorzulegen, was sie

wie teuer zu stehen kommt.

Hier könnte Frau Merz möglicherweise unbewusst in die u.a. von Sommer und Welzer (2014: 78-86) beschriebene Falle der Ökonomisierung bzw. Inwertsetzung tappen. Ein Preisschild an jedem Teil der Bios- und Geosphäre, um eine solche „Rechnung“ über die

wahren Kosten der herkömmlichen Warenwelt

aufmachen zu können – das folgt letztlich nur konsequent der spätkapitalistisch-globalisierten Marktlogik, die in alle Bereiche des Lebens hineinzuwirken angelegt ist.

Ihr Abschlussplädoyer lautet:

Ran an das Verdrängungswachstum für ein gutes Leben!

Frau Merz als Gründerin einer „umweltorientierten“ Designagentur und Mitglied bei UnternehmensGrün (dem Bundesverband der „grünen Wirtschaft“) hebt durchaus mittelständisches und kleinunternehmerisches Ausbrechen aus dem Wachstumsdogma hervor und präsentiert mit Volker Plass (Bundessprecher der Grünen Wirtschaft aus Österreich) sogar eine Vision einer sesshafteren, sich vegetarisch ernährenden Weiterverwendungs- und Reparaturgesellschaft, in der Verzicht zu erwarten sei, der aber durch einen

Zugewinn an neuen sozialen Gesellschaftsformen (share economy, solidarische Landwirtschaft)

aufgefangen werden.

Sie trägt mit ihrer Wortwahl (Beispiel: „unternehmerische Realität“ und „Verdrängungswachstum“) sowie einem immanenten Dualismus (Gut vs. Böse) jedoch leider nicht wirklich zu einem konvivalistisch-solidarischen Grundton – weder in der Debatte noch in Bezug auf das von ihr betonte wirtschaftlichen Handeln – bei.


Literaturverweis:

Merz, Martina (2015): Degrowth? Ach was! In: taz.zeozwei, 03.2015, S. 71
[ISSN 2194-1246]

Sommer, Bernd/Welzer, Harald (Hrsg.) (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München: oekom verlag, S. 78-86
[ISBN 978-3-865-81662-7]