Kapitalismuskritik in der Kritik: Peter Sloterdijk über „etablierte Sozialismen“

Der Philosophieprofessor und Rektor der Staatlichen Hochschule Karlsruhe Peter Sloterdijk macht sich in einem Interview in der aktuellen taz.zeozwei daran, die Sache mit dem Sozialismus und Neoliberalismus einmal (in seinen Augen) richtig zu stellen.

So warnte der Ex-ZDF-Fernsehphilosoph, nachdem der klimapolitische Scherbenhaufen von Kopenhagen bereits angerichtet war, vor einem

sozialistischen Klimatismus

im Sinne behaupteter linker Instrumentalisierung des Klimawandels zur vermeintlichen Durchsetzung des Sozialismus. Von diesem Spezialfall zeigt sich Professor Sloterdijk mittlerweile weniger besorgt – er betont jedoch, dass

wir genügend andere Sozialismen[… hätten], die so etabliert sind, dass wir nicht noch einen weiteren anfügen müssen.

Mit dem Wort „wir“ rechnet er sich übrigens, so lässt er uns später wissen, ganz im Rahmen der üblichen Verwendung

im Deutschen […] einer Gruppe von Personen mit einer gemeinsamen Sorge zu[…].

Es folgt Sloterdijks umfassende Zurückweisung der Anklage gegen einen

angeblich machthabenden Neoliberalismus

und der Vorwurf kontinuierlicher linker Truppenbewegungen

an der etatistischen Front

in Richtung höherer Besteuerung, zunehmender Regulierung und einem Anwachsen von Vorschriften, die beim

bürgerliche[n] Eigenleben

Luftnot hervorrufen würden. Der voranschreitende Ausbau des Sozialstaates bildet das Ende der von Sloterdijk ausgemachten Fesseln des Bürgertums. Diese mit Beispielen zu unterlegen (welche Steuern meint er, welche Regularien und Vorschriften und vor allem: welchen Sozialstaatsausbau?!) scheint ihm wohl nicht notwendig – wäre aber sehr aufschlussreich gewesen.

Dem Karlsruher Hochschulrektor zufolge würde der Neoliberalismus also im Rahmen der

größte[n] Nebelwerferaktion des letzten halben Jahrhunderts

(und trotz all diesen vermeintlichen Nebels doch: „offenkundig“) an die Macht geredet, an der jedoch tatsächlich bereits besagte Sozialismen seelenruhig säßen. Diese (für einen bedeutenden Philosoph der Gegenwart natürlich: leicht) „durchschaubare Finte“ pumpt er zur

klügste[n] ideologische[n] Machenschaft seit des Kollaps des Marxismus

auf, um sie dann – laut vernehmlich – platzen zu lassen.

Für Sloterdijk scheint – mit Ausnahme der von ihm selbst

da und dort [… beobachteten] Russifizierung des Konsumverhaltens[… im Sinne eines Benehmens] wie Konsumapokalyptiker[…, die aus Furcht vor morgiger Geldentwertung] auf die finale Party

setzen würden – keine Gefahr vom (wie beschrieben) nahezu machtlosen Neoliberalismus auszugehen. Eher vom zu wörtlich genommenen Evangelium („Macht euch die Erde Untertan“) und unserem „Individualismus auf Kosten der Welt„.

Was hätten wir nur ohne diese vorgeblich differenzierende Analyse getan? Wären wir dann wohlmöglich jenen

diabolischen Auffassungen von der Wirtschaft

der „ewigen Linke[n]“ erlegen, die seiner Einschätzung nach keine Mehrheit in den heutigen Gesellschaften Europas für sich beanspruchen könnten?

Sloterdijks unter dem deutschen „Wir“ subsumierten Sorgen angesichts einer vermeintlich bereits vollzogenen sozialistisch-etatistischen Machtübernahme könnten uns (als empathische Wesen) fast zu Tränen rühren… wenn es da nicht eine sozial-ökologische Transformation zu gestalten gäbe!


Literaturverweis:

Sloterdijk, Peter/Unfried, Peter (Interview) (2015): »Macht euch die Erde Untertan – ein fataler Satz«, In: taz.zeozwei, 04.2015, S. 50f.
[ISSN 2194-1246]

Postwachstumsskepsis: Edenhofer und die CO2-Steuer-Illusion

Global Commons and Climate Change“ stecken im Namen des Berliner Forschungsinstituts, dessen Direktor Ottmar Edenhofer ist. Und sein Chefökonomen-Posten in Potsdam bezieht sich auf „Klimafolgenforschung„. Im Weltklimarat steht er einer AG zur Milderung des Treibhauseffektes vor. Wie betrachtet dieser Mann eine Transformation hin zu einer entwachsenen oder auch: Postwachstums-Gesellschaft?

Den Leuten sei bislang noch nicht bewusst,

wie tiefgreifend der gesellschaftliche Transformationsprozess zur Begrenzung des Klimawandels

ausfallen müsse. Er verzeichnet eine Erweiterung des

traditionelle[n] Tugenkatalog[s]

und begrüßt diese in Form einer

Änderung des Konsumverhaltens

hin zu beispielsweise Fleisch-, Auto und Flugverzicht grundsätzlich. Er ist überzeugt: Ansichten, die uns glauben machen würden, dies genüge, führten in die Irre. Dann bricht schließlich das aus ihm heraus, was u.a. von Paech (2014) als Mythologisierungen von Fortschritt und Technologie begriffen wurde und unter „Fortschrittsillusion“ firmiert:

Wir brauchen Innovationen und technische Durchbrüche. Umweltschützer gelten als Behinderer und Miesmacher des technischen  Fortschritts. Es geht heute darum, dass wir dem technischen Fortschritt eine andere Richtung geben.

Diesen Richtungswechsel des Fortschritts glaubt Edenhofer über einen (dauerhaft steigenden) Preis für den Ausstoß von CO2 anschieben zu können:

Er wird die Wirtschaft nicht ruinieren, sondern Anreiz geben, Technik zu entwickeln, die weniger Treibhausgase ausstößt.

In seinen Augen ist

Umweltpolitik […] nicht primär Verhinderungspolitik, sondern bedeutet Ermöglichung, und zwar von technischem Fortschritt.

Intensitäten von Material, Energie und Kohlenstoff ließen sich auf diesem Weg verringern, gar eine Kreislaufwirtschaft in Gang bringen. Ein Glücksversprechen (Edenhofer erinnert in diesem Zusammenhang an die wunderbar heilsame Wirkung der Ökosteuer auf die Rentenkassen) inklusive.

Dann möchte Edenhofer gern noch den Ressourcenhunger von Wachstum differenziert sehen: er könne nicht erkennen, dass

jedes Wachstum im gleichen Umfang Ressourcen frisst.

Hinter diesen Worten würde Paech wohl zu Recht die „Mär vom ‚grünen Wachstum‘“ vermuten.

Dass eine gewisse Strecke auf dem Transformationspfad zurückzulegen sei, bevor Null-Emmission in Sicht kämen (2050 ist sein Zeitfenster fürsaubere Technologie„), will Edenhofer betont wissen. Nur losgehen müssten wir schon mal. Es erscheint ihm „aberwitzig„, was mit der „derzeitige[n] Debatte“ verknüpft wäre: wer könne denn ernsthaft wollen,

dass die Lebenserwartung nicht mehr zunimmt, das Gesundheitssystem nicht besser wird, das Bildungssystem auch nicht. Wir wollen kein Leid mehr lindern?

Was also meint er mit der „derzeitigen Debatte„, die sich letztlich um

Fatalismus, diese heimliche Lust am Untergang

drehe?

Es geht aus meiner Sicht nicht um Wachstumsverzicht. Das ist die völlig falsche Perspektive.

Wachstumsverzicht bedeutet der Logik von Herrn Edenhofer folgend also: Lebenserwartungsstagnation, Stillstand im Gesundheits- und Bildungssystem sowie eine Absage an die Linderung von Leid.
Im Gegensatz beinhalte der CO2-Preis einerseits die Erkenntnis,

dass wir heute zu viel Naturkapital verbrauchen und zu wenig in die kommenden Generationen investieren.

Andererseits sei dieses Preisschild für Kohlenstoffdioxid als Anreizsystem für

Strukturwandel[…,] Innovationen bei der Arbeits- und Ressourcenproduktivität

geeignet. Mehr Bildungs-, Forschungs-, Entwicklungsinvestitionen, auch mehr zur Armutsbekämpfung und ins Gesundheitssystem will Edenhofer aufgebracht sehen. Durchaus lobenswerte Einsatzfelder für die Gewinne aus der von ihm geforderten CO2-Steuer.

Will er aber letztlich nicht nur Kohlenstoffextraktivismus (vgl. Welzer 2013) besteuern, um in ein postfossiles Energieregime einzutreten, welches – nur scheinbar vom Ressourcenverbrauch entkoppelt – regelrecht begrünt weiterwachsen darf, um eine vermeintliche Stagnation des Glücks aufzuhalten?

Wer hier wohl noch nicht ganz dahin vorgedrungen ist,

wie tiefgreifend der gesellschaftliche Transformationsprozess

nicht nur fürdie Leute„, sondern auch für einenChefökonomender Klimafolgenforschung tatsächlich ausfallen wird…


Literaturverweise:

Edenhofer, Ottmar/Gersmann, Hanna (Interview) (2015): »Glück«, In: taz.zeozwei, 04.2015, S. 16f.; S. 20
[ISSN 2194-1246]

Paech, Niko (2014): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, 8. Auflage, München: oekom verlag, S. 25-36; S. 71
[ISBN 978-3-865-81181-3]

Welzer, Harald (2013): Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand, Lizenzausgabe, Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg, S. 18ff.
[ISBN 978-3-763-26634-0]

Postwachstum zwischen Anführungsstrichen: vom „Konvivialismus“

Aus einer technik- und kapitalismuskritischen Perspektive heraus legte der österreichisch-amerikanische Autor und Philosoph Ivan Illich (1975/2014) das Adjektiv „konvivial“ (laut Duden: ursprünglich lateinisch convivalis für „zum Gastmahl gehörend“) vor,

um eine Gesellschaft zu bezeichnen, die ihren Werkzeugen (dies können Techniken, aber auch Institutionen sein) vernünftige Wachstumsbegrenzungen auferlegt.

Diese Begrenzungen seien deshalb notwendig, weil ohne diese die Technik dazu neige, ihre Leistungen gegen die Menschen zu richten, denen sie doch Problemlösung und Freiheit verspreche. Niko Paech (2014) übernimmt dann auch Illichs Buch Selbstbegrenzung die Vorstellung einer „konvivialen Technologie„, die solche Hilfsmittel beinhalte,

welche zwar die Produktivität menschlicher Arbeitskraft erhöhen, diese aber nicht ersetzen.

Paech nennt markante Beispiele (Fahrräder, mechanische Rasenmäher, Segelschiffe)

für Technologien bzw. Designs, die vergleichsweise arbeitsintensiv sind, dafür aber umso weniger Energieträger, Fläche und Kapital benötigen.

Darüber hinausgehende Verkehrsmittel und Industrieprodukte sollten als sparsam ergänzend, quantitativ reduziert und innerhalb materieller Grenzen betrachtet werden.

Unter dem Begriff „Konvivialismus“ wird im konvivialistischen Manifest (2014) alles subsumiert, das

zur Suche nach Prinzipien beiträgt, die es den Menschen ermöglichen, sowohl zu rivalisieren wie zu kooperieren, und zwar im vollen Bewusstsein der Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und in der geteilten Sorge um den Schutz der Welt. Und im Bewusstsein unserer Zugehörigkeit zu dieser Welt.

Als eine

universalisierbare […] Lehre […], [… deren] konkrete Anwendung notwendig lokal und situationsabhängig sein

werde, schreiben ihm das Kollektiv der Convivialistes die folgenden vier Grundprinzipien zu:

    • Prinzip der gemeinsamen Menschheit

Es existiert nur eine Menschheit, die in Person jedes ihrer Mitglieder zu achten ist.

    • Prinzip der gemeinsamen Sozialität

Menschen als soziale Wesen sind von ihren sozialen Beziehungen bestimmt.

    • Prinzip der Individuation

Ermöglicht werden müsse, die Entfaltung der Individualität, die Entwicklung eigener Fähigkeiten, frei sein und handeln zu können – nur begrenzt durch das Gebot der Vermeidung von Schäden gegenüber anderen Menschen.

    • Prinzip der Konfliktbeherrschung

Der Ausdruck der eigenen Individualität kann eine legitime Form des Opponierens gegeneinander hervorrufen. Den bindenden Rahmen bildet hier die „gemeinsame Sozialiät“ im Sinne einer schöpferischen Rivalität anstelle einer zerstörerischen.

Dem in eine manifeste Form gegossenen Konvivialismus eine greifbare Entsprechung in unseren realen Gesellschaften zu verschaffen – dazu dürfen wir uns aufgerufen fühlen.


Literaturquellen:

Paech, Niko (2014): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, 8. Auflage, München: oekom verlag, S. 59
[ISBN 978-3-865-81181-3]

sowie

Adloff, Frank/Leggewie, Claus (Hrsg.) (2014): Das konvivialistische Manifest. Für eine neue Kunst des Zusammenlebens, Bielefeld: transcipt Verlag, S. 11; S. 59-62
[ISBN 978-3-837-62898-2]

äquivalente Internetquelle:

diekonvivialisten.de