Enkel*innentauglich versus senior*innenschonend?

Es scheint einen Unterschied zu machen, welcher Alterskohorte mensch angehört: Großmütter und Großväter als Risikogruppe in Zeiten einer Pandemie/Gesundheitskrise gelten als offensiv und mit Nachdruck zu schützen. Kinder und Jugendliche mit ihren (wissenschaftlich untermauert: realen) Zukunftssorgen angesichts einer zwangsläufig globalen Klimakrise wurden monatelang entweder als blauäugig belächelt oder als blaumachend beschimpft.

Das Kranzvirus und das Klima bekamen jeweils ein Kabinett. Im ersten wird gerade politisch, finanziell und solidarisch fast alles mobilisiert. Im letzteren reichte es nur für kompromissbedingte Bruchstücke dessen, was mindestens notwendig gewesen wäre.

Ist dieser Vergleich wirklich so abstrus oder gar: moralisch unzulässig? Weil das eine ganz unmittelbar drängt, Menschen in Särgen aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen getragen werden? Und das andere… irgendwie auch, aber eben nicht jetzt, nicht hier, nicht in diesem Frühjahr?

Vielleicht steht die Enkel*innentauglichkeit unseres Lebensstils einfach weniger hoch im Kurs als eine akute Senior*innenschonung im Angesicht einer zweifellos hoch ansteckenden und potentiell tödlich verlaufenden Viruserkrankung. Vielleicht ist die Gesundheit auch aus irgend einem Grund besser zu konservieren als ein intaktes Ökosystem. Oder zumindest lassen sich für den Erhalt von Gesundheit offenbar schneller und einleuchtender drastische Maßnahmen rechtfertigen und durchsetzen als für den Erhalt der Lebensgrundlage – für diese und die nächsten Generationen.

Die Großelterngeneration und jene der Enkel*innen geht gerade gesundheitsbewusst auf Abstand zu einander. Spätenstens wenn das Kranzvirus wieder mehr Nähe und sozialen Austausch zulässt, sollten beide dringend zusammenkommen und sich darüber verständigen, wie beide zu ihrem Recht auf Zukunft kommen können.

Kapitalismuskritik in der Kritik: Peter Sloterdijk über „etablierte Sozialismen“

Der Philosophieprofessor und Rektor der Staatlichen Hochschule Karlsruhe Peter Sloterdijk macht sich in einem Interview in der aktuellen taz.zeozwei daran, die Sache mit dem Sozialismus und Neoliberalismus einmal (in seinen Augen) richtig zu stellen.

So warnte der Ex-ZDF-Fernsehphilosoph, nachdem der klimapolitische Scherbenhaufen von Kopenhagen bereits angerichtet war, vor einem

sozialistischen Klimatismus

im Sinne behaupteter linker Instrumentalisierung des Klimawandels zur vermeintlichen Durchsetzung des Sozialismus. Von diesem Spezialfall zeigt sich Professor Sloterdijk mittlerweile weniger besorgt – er betont jedoch, dass

wir genügend andere Sozialismen[… hätten], die so etabliert sind, dass wir nicht noch einen weiteren anfügen müssen.

Mit dem Wort „wir“ rechnet er sich übrigens, so lässt er uns später wissen, ganz im Rahmen der üblichen Verwendung

im Deutschen […] einer Gruppe von Personen mit einer gemeinsamen Sorge zu[…].

Es folgt Sloterdijks umfassende Zurückweisung der Anklage gegen einen

angeblich machthabenden Neoliberalismus

und der Vorwurf kontinuierlicher linker Truppenbewegungen

an der etatistischen Front

in Richtung höherer Besteuerung, zunehmender Regulierung und einem Anwachsen von Vorschriften, die beim

bürgerliche[n] Eigenleben

Luftnot hervorrufen würden. Der voranschreitende Ausbau des Sozialstaates bildet das Ende der von Sloterdijk ausgemachten Fesseln des Bürgertums. Diese mit Beispielen zu unterlegen (welche Steuern meint er, welche Regularien und Vorschriften und vor allem: welchen Sozialstaatsausbau?!) scheint ihm wohl nicht notwendig – wäre aber sehr aufschlussreich gewesen.

Dem Karlsruher Hochschulrektor zufolge würde der Neoliberalismus also im Rahmen der

größte[n] Nebelwerferaktion des letzten halben Jahrhunderts

(und trotz all diesen vermeintlichen Nebels doch: „offenkundig“) an die Macht geredet, an der jedoch tatsächlich bereits besagte Sozialismen seelenruhig säßen. Diese (für einen bedeutenden Philosoph der Gegenwart natürlich: leicht) „durchschaubare Finte“ pumpt er zur

klügste[n] ideologische[n] Machenschaft seit des Kollaps des Marxismus

auf, um sie dann – laut vernehmlich – platzen zu lassen.

Für Sloterdijk scheint – mit Ausnahme der von ihm selbst

da und dort [… beobachteten] Russifizierung des Konsumverhaltens[… im Sinne eines Benehmens] wie Konsumapokalyptiker[…, die aus Furcht vor morgiger Geldentwertung] auf die finale Party

setzen würden – keine Gefahr vom (wie beschrieben) nahezu machtlosen Neoliberalismus auszugehen. Eher vom zu wörtlich genommenen Evangelium („Macht euch die Erde Untertan“) und unserem „Individualismus auf Kosten der Welt„.

Was hätten wir nur ohne diese vorgeblich differenzierende Analyse getan? Wären wir dann wohlmöglich jenen

diabolischen Auffassungen von der Wirtschaft

der „ewigen Linke[n]“ erlegen, die seiner Einschätzung nach keine Mehrheit in den heutigen Gesellschaften Europas für sich beanspruchen könnten?

Sloterdijks unter dem deutschen „Wir“ subsumierten Sorgen angesichts einer vermeintlich bereits vollzogenen sozialistisch-etatistischen Machtübernahme könnten uns (als empathische Wesen) fast zu Tränen rühren… wenn es da nicht eine sozial-ökologische Transformation zu gestalten gäbe!


Literaturverweis:

Sloterdijk, Peter/Unfried, Peter (Interview) (2015): »Macht euch die Erde Untertan – ein fataler Satz«, In: taz.zeozwei, 04.2015, S. 50f.
[ISSN 2194-1246]