Narrative der Tat: Stillgelegte Betriebe revitalisiert von ihren Belegschaften

In Argentinien heißen sie Fabricas Recuperadas: Fabriken und Betriebe, die in Krisenzeiten von deren Belegschaft übernommen und anschließend selbstverwaltet betrieben wurden. Die verwendete Vergangenheitsform wird hier angesichts der markt-autoritären Präsidentschaft von Mauricio Macri bis 2019 (mit einer Politik der gestrichenen Subventionen in Verbindung mit der Marktöffnung für billigere Importe; die Wirkung des Präsidentschaftswechsels zu Alberto Ángel Fernández ist noch unabschätzbar) als wahrscheinlich angesehen.

Sie bleiben mindestens Symbole für eine solidarische Ökonomie, wenn ihre volkswirtschaftliche Bedeutung auch gering war: 367 Belegschaftsbetriebe mit etwa 16.000 dort beschäftigten Menschen wurden 2017 von der Universität Buenos Aires gezählt.

Strom- und Gasrechnungen konnten diese Fabriken (in denen u.a. Textilien und Keramik hergestellt wurden) nur begleichen, wenn diese durch Subventionen niedrig gehalten wurden.
Importe aus China und Brasilien weiteten den Druck auf diese solidarischen Sonderwirtschaftsformen zusätzlich aus.

Eine Debatte zu belegschaftsgeführten bzw. -eigenen Betrieben (2007 von attac angestoßen) ist in Deutschland mittlerweile 8 bis 9 Jahre alt – es wird Zeit, sie zu reaktivieren. Bei der kollektivberatung gibt es seit 2018 Treffen zu entsprechenden Gründungen und auch die initiative wow – worker-owned workplaces ruft zu Gründungen und Beteiligungen auf.


Internetquellen:

Jürgen Vogt: Selbstverwaltung unter Druck, in: taz, 23.10.2017

IG Metall: Betriebe in Belegschaftshand, vom 30.11.2012

Solidarische Ökonomie: Kampagne „Betriebe in Belegschaftshand, vom 10.01.2011

Wie wir es wagen können

Videomitschnitt von The Guardian vom 23.09.2019

How dare you!

Greta Thunberg,
auf dem UN Climate Action Summit vom 23.09.2019 in Washington

Märchen vom ewigen Wachstum und Geld… wie wir es wagen könnten, damit auf das Leid und den Tod von Menschen, auf den Kollaps von Ökosystemen und das beginnende massenhafte Artensterben zu reagieren, wurden wir am 23.09.2019 von der 16 Jahre alten Trägerin des Alternativen Nobelpreises gefragt.

Statt des aufbrandenden Applauses wäre Demut angebracht gewesen. Stille. Schweigen. Dieser junge Mensch bringt auf den Punkt, was die politisch und wirtschaftlich Verantwortungstragenden dem wissenschaftlich nachweisbar menschengemachten Klimawandel entgegensetzen gedenken: mehr oder weniger überzeugende Summen von Geld, während wir damit fortfahren, uns gegenseitig das Märchen vom unendlichen Wirtschaftswachstum (nun in vermeintlich nachhaltig-grünen Variationen) zu erzählen.

Das Wagnis, sich von einer Vertreterin der nachfolgenden Generation auf einem Gipfeltreffen der Vereinten Nationen wütende Vorwürfe machen zu lassen (zerstörte Kindheit und Träume), ist letztlich keines. Es wäre eines, ohne weitere Verzögerung tatsächlich Verantwortung zu übernehmen: persönlich, gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich, ökologisch.

Dare we?

Klimastreik, Flugscham, Bus- & Bahn-Charme, Kompensation, Reduktion, Dekarbonisierung, Kohleausstieg, Upcycling, Aufforstung, Postwachstum, Cradle-to-Cradle, Repair Cafés, Unverpacktes, Genossenschaften, Enkeltauglichkeit…


Internetquellen:

Stern.de: „How dare you?!“ – Dieser Satz von Greta Thunberg wird Geschichte schreiben, Artikel vom 24.09.2019, abgerufen am 26.09.2019

Wallstreet Online: Merkel kündigt weitreichende Investitionen an, Artikel vom 23.09.2019, abgerufen am 26.09.2019

Aktienrebell: Warum das Wirtschaftswachstum unendlich ist, Artikel abgerufen am 26.09.2019

WirtschaftsWoche: Wie sich das Klima retten lässt. Option 3: Grünes Wachstum, Artikel vom 26.11.2012, abgerufen am 26.09.2019

Stundenplan für Freitag: Zukunft (Wahlpflicht)

Partieller Schulabsentismus hat die Klimafrage nach dem gefeierten Klimaschutzübereinkommen von Paris im Jahr 2015 (bzw. dem internationalen Klimavertrag vom 04. November 2016) überhaupt erst wieder ins Bewusstsein geholt. So viel sollten selbst marktautoritäre Klimaschutz-den-Profis-Überantworter und Schulschwänz-Vorwurfsvolltrunkene im August 2019 einräumen können.

Was diese vorrangig jungen Menschen während ihrer zeitlich stark begrenzten Verweigerung einer Teilnahme an einem institutionalisierten Lernsetting im Angesicht eines global gezeigten adulten (mindestens) Desinteresses an der Gewährleistung ihrer Zukunftschancen ein Mal am Ende ihrer Schulwoche praktizieren, ist
letztlich die Einübung demokratischer Kompetenzen: zu diesen gehören

  • Perspektivenübernahme
  • politische Responsibilität
  • sozialwissenschaftliches Analysieren
  • politisch wertendes Urteilen
  • Vermittlung konfligierender Urteile in sozialer Auseinandersetzung,
  • Bereitschaft zur performativen Realisierung der einzelnen Kompetenzen

Welchen größeren Umfang könnte ihre Perspektivenübernahme haben als jene für aktuelle und künftige Betroffene z.B. von Extremwetterereignissen, klimabedingten Fluchtbewegungen, Artensterben?

Diese jungen Menschen könnten der in der Wikipedia für die Responsibilität gefundenen Formulierung als

von vernachlässigten Interessen Betroffene oder sonstwie benachteiligte Menschen[…, die] ihre Not und ihre Forderungen im pluralistischen Konzert der freien Meinungsbildung ausreichend und effektiv zur Geltung bringen[…,]

Wikipedia, Artikel zu: Demokratiekompetenz, letzte Aktualisierung vom 01.04.2018

kaum besser entsprechen.

Ihre sozialwissenschaftliche Analyse wird von Klimaforschenden weltweit anerkannt und unterstützt.

Folgen wir Massing, so ist mit einem politischen Urteil

die wertende Stellungnahme eines Individuums über einen politischen Akteur oder einen politischen Sachverhalt unter Berücksichtigung der Kategorien Effizienz und Legitimität mit der Bereitschaft, sich dafür öffentlich zu rechtfertigen[…,]

Massing, Peter (2003): Kategoriale politische Urteilsbildung

gemeint. Effizienz- wie Legitimitätskriterien (letztere: „Humanverträglichkeit“, „Sozialverträglichkeit“ und „Umweltverträglichkeit“) werden, betrachtete man die Forderungen der FridaysForFuture-Bewegung in Deutschland, ziemlich sicher erfüllt.

Die Konflikthaftigkeit der Urteile, zu denen die jungen Menschen hinsichtlich der bisherigen Entscheidungen aktueller politischer Verantwortungsträger*innen kommen gegenüber jenen, welche eben diese Entscheidungsträger*innen über Form und Inhalt der Intervention der FridaysForFuture-Aktivist*innen formulieren, ist unüberseh- und -hörbar. Gewaltfreie Foren der Austragung dieser Konflikte werden beidseitig angeboten und wahrgenommen.

Und performanter als in den freitäglichen Protestaktionen (zuletzt das fünftägige Forum mit der Klima-Erklärung von Lausanne oder die Demonstration am Stuttgarter Flughafen mit Papierfliegern) könnte die Umsetzung der zuvorgenannten Kompetenzen wohl kaum erfolgen.

Wie schwach das Schulpflicht-Argument aus den Mündern von deutschen Politiker*innen ist, die diese Schulen nicht einmal vernünftig ausstatten (und nein: nicht „digitalisieren – “funktionsfähig halten” wäre ein guter Anfang) und ausreichend Lehrkräfte aufbringen wollen, sollte zumindest allen Bürger*innen einleuchten, die entweder Kinder und Jugendliche an deutschen Schulen sind, sie dorthin schicken oder sie dort unterrichten.

An jedem Freitag, den schulpflichtige junge Menschen mit Protest gegen klimapolitische Verantwortungslosigkeit auf der Straße verbringen (und damit letztlich ihre übergeordneten Zukunftschancen erhalten wollen, ohne damit ihre Bildungsabschlüsse tatsächlich ernsthaft zu gefährden), wächst die Hoffnung auf eine – wenn noch nicht enkeltaugliche – dann doch zumindest enkelgetriebene Welt!


Literaturquellen:

Massing, Peter (2003): Kategoriale politische Urteilsbildung, in: Hans-Werner Kuhn: Urteilsbildung im Politikunterricht, Schwalbach/ts., S. 95f.

Internetquellen:

SWR aktuell: Fridays-for-Future-Aktivisten verabschieden Klima-Erklärung, abgerufen am 09.08.2019

FridaysForFuture: Unsere Forderungen an die Politik, abgerufen am 09.08.2019

Stuttgarter Zeitung: Klimaaktivisten demonstrieren am Stuttgarter Flughafen, Artikel vom 26.07.2019, abgerufen am 09.08.2019

Bayrischer Rundfunk: Der internationale Klimavertrag – ohne die USA? Beitrag vom 26.11.2018, abgerufen am 09.08.2019

Stiftisches Humanistisches Gymnasium Mönchengladbach (o.A.): Politische Urteilsbildung

Aus einer „rebellischen Abhängigkeit“ in „eine andere Welt“

Wanda Tommasi (1999) wird von Franziska Schutzbach in den Blättern für deutsche und internationale Politik (3’17) „Wider die bequeme Weltuntergangslust“ mit der Wortgruppe der

rebellische[n] Abhängigkeit

in Stellung gebracht. Damit gemeint soll sein: die permanente, zwanghafte Bezugnahme der Rebellierenden auf das, was von ihnen abgelehnt wird.

Schutzbach findet in der Schlussfolgerung daraus alltagstauglichere Formulierungen:

Selbst wenn vieles schlecht läuft und es Zwänge gibt, wo ist der Punkt, an dem ich bereits hier und jetzt Freiheit umsetzen kann?

Ihre Frage geht über in die Betrachtung einer quasi selbstreferentiellen Herrschaftskritik, zu deren Ende sie beitragen möchte:

Mit der Kritik an der Herrschaft ist zwar die Bedeutung und die Wucht von Herrschaft benannt, aber es bleibt unsichtbar, was sonst noch geschieht.

Damit würde in ihren Augen die Reproduktion einer (falschen) Vorstellung einhergehen,

es gebe kein Anderswo der Geschichte, kein Anderswo des Politischen, kein Anderswo der Existenz.

Mit der bloßen Ablehnung des Falschen folge man also (ungewollt) der Logik des Abgelehnten, man begebe sich in die zitierte Abhängigkeit:

Man richtet sich im Feld des Kritisierten ein und akzeptiert, selbst wenn man es bekämpft, die Dimension, die Richtung und den Raum des Kritisierten.

Mitnichten soll damit der Kritik an (kapitalistischer, autoritärer, patriarchaler) Herrschaft das Wort entzogen werden – vielmehr müsste sie sich ihrer Dependenz bewusst werden und Folgen zeitigen, die in gewisser Weise bereits eingetreten wären.
Ergänzt um Hegel’sche philosophische Herr-Knecht-Überlegungen aus dem Fundus von Simone Weil (1991), erklärt es Schutzbach zur

wichtigste[n] Arbeit der Unterworfenen, ihre Zustimmung zur Unterwerfung innerlich aufzukündigen,

da nur so die äußeren Zwänge solche bleiben und nicht ins Innere vordringen könnten. Die innere Aufkündigung müsse der „Knecht“ – laut Tommasi – gegenüber dem „Herrn“ durch Betonung der eigenen Unterschiedlichkeit im Vergleich mit diesem herausstellen. Und damit nicht genug: darüber hinaus solle er

versuche[n], diese Unterschiedlichkeit in gesellschaftlichen Umlauf zu bringen.

Der „Knecht“ hätte also im Aufkündigungsprozess nicht nur die Differenz zwischen sich und dem „Herrn“ für sich selbst zu erkennen und zu verinnerlichen, sondern müsste zusätzlich damit an die Öffentlichkeit gehen, eine (vermutlich möglichst große) Öffentlichkeit herstellen. Dem philosophischen Knecht – und mehr noch seinen realen Entsprechungen – wird hier viel abverlangt. Für Schutzbach – darin erkennbar von Tommasi überzeugt worden – steht fest,

dass wir einer anderen Welt nur näherkommen, wenn wir deutlich machen, dass diese ein Stück weit schon da ist.

Wenn also (in einem den Autor erfassenden Anflug von ver-Hegel-ter Personifizierung) der stellvertretende geknechtet Igel den symbolischen herrischen Hasen wissen ließe, dass er „schon da“ sei, könnte das nicht nur den/die Hasen an den Rand der Erschöpfung bringen, sondern auch den Igel und sein Umfeld darin bestätigen:

Es ist gut zu spüren, dass ich es anders mache.

Wenn das „Notwendige zu tun“ nicht zu „der Logik unserer Welt“ passe, wie Schutzbach abschließend behauptet – dann meint sie wohl

  1. damit nicht die Logik dieser anderen, schon vorhandenen Welt;
  2. dass Notwendigkeiten wie solidarisches Handeln, wenn ein anderer Mensch Hilfe benötigt, uns allen schon jetzt möglich sind (beispielhaft wird hier eine Frau in der Schweiz angeführt, die einer anderen Frau unter anderem bei Behördengängen hilft – beide haben Migrationsgeschichten);
  3. dass wir uns so aus der „rebellischen Abhängigkeit“ befreien können, weil an die Stelle blindwütiger Herrschaftskritik eine klare Distinktion gegenüber dieser nicht alternativlosen Herrschaft in konkretes Handeln mündet.

Beginnen wir derweil vorn: bei der inneren Aufkündigung der Unterwerfung in einer Welt, der eine andere bereits sicht- und spürbar auf dem Fuße folgt.


Schutzbach, Franziska (2017): Wider die bequeme Weltuntergangslust, In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 3/2017, S. 89-94

Tommasi, Wanda (1999): Die Arbeit des Knechts, in: Diotima: Jenseits der Gleichheit. Die weiblichen Wurzeln der Autorität, Sulzbach/Taunus: Ulrike Helmer Verlag, S. 87-119

Weil, Simone (1991): Cahiers, Band I, München, S. 74-78 sowie S. 105

Narrative der (Gemeinwohl-)Tat: Ein Anfang

Es war einmal… blickt auf eine Vergangenheit.

Es ist nun so… meint die Gegenwart zu erfassen.

Es wird gewesen sein… sieht in die (vorweggenommene) vollendete Zukunft.

Geschichtenerzählen ist ein nicht wegzudenkender Teil menschlicher Kultur, dessen kreative (im Sinne von „erschaffende“) und motivierende Kraft die rein konservierend-bewahrende Weitergabe von Wissen übersteigt. Wir alle sind Geschichtenerzähler_innen an jedem einzelnen Tag: über uns; über Menschen, die wir (glauben zu) kennen und über Menschen, die wir (noch) nicht kennen; über das, was wir sehen, riechen, schmecken, fühlen, erleben; über die (uns zugänglichen Ausschnitte einer) Welt, in der wir leben. Jede dieser Geschichten sagt mehr über uns selbst aus, als über das, worüber sie vermeintlich etwas erzählen sollte.

Die Kulturtechnik Storytelling sollte damit Genüge getan worden sein. Der Gedanke hinter Narrativen der (Gemeinwohl-)Tat greift auf, was FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit als „Geschichten des Gelingens“ in ihrem umfangreichen Zukunftsarchiv bündelt. Und „aufgreifen“ ist hier nicht mit „to show some Copy&Paste-Love“ – was dem schlichten Kopieren der dortigen zweifellos gut geschriebenen Texte entspräche – zu verwechseln.
Wenn das Weitererzählen von Seiten der Stiftung mit dem fortgeschrittenen Deutschunterrichtsbezug im Namen, in dessen Vorstand ein gewisser Prof. Dr. Welzer sitzt (geübten Leser_innen dieses Blogs vielleicht nicht ganz unbekannt – sein aktuelles Buch: Die smarte Diktatur), ausdrücklich erwünscht ist… dann könnt ihr damit rechnen, dass sich einige davon – selbstredend in eigener gemeinwohltuender Erzählform – hier finden werden.

Andere Narrative der (Gemeinwohl-)Tat werden wir der zukunftsbefähigenden Stiftung vielleicht sogar voraushaben (oder hat jemand von euch dort z.B. schon Fairmondo entdeckt?) – ganz zukunftsweisend wäre das dann.
Lasst uns doch einfach gemeinsam diese Geschichten gelingender Gemeinwohltaten erzählerisch zusammentragen – seid eingeladen, jene gemeinwohltuenden Narrative zu finden, die wir uns gegenseitig erzählt haben werden…