Postwachstum zwischen Anführungsstrichen: vom „Konvivialismus“

Aus einer technik- und kapitalismuskritischen Perspektive heraus legte der österreichisch-amerikanische Autor und Philosoph Ivan Illich (1975/2014) das Adjektiv „konvivial“ (laut Duden: ursprünglich lateinisch convivalis für „zum Gastmahl gehörend“) vor,

um eine Gesellschaft zu bezeichnen, die ihren Werkzeugen (dies können Techniken, aber auch Institutionen sein) vernünftige Wachstumsbegrenzungen auferlegt.

Diese Begrenzungen seien deshalb notwendig, weil ohne diese die Technik dazu neige, ihre Leistungen gegen die Menschen zu richten, denen sie doch Problemlösung und Freiheit verspreche. Niko Paech (2014) übernimmt dann auch Illichs Buch Selbstbegrenzung die Vorstellung einer „konvivialen Technologie„, die solche Hilfsmittel beinhalte,

welche zwar die Produktivität menschlicher Arbeitskraft erhöhen, diese aber nicht ersetzen.

Paech nennt markante Beispiele (Fahrräder, mechanische Rasenmäher, Segelschiffe)

für Technologien bzw. Designs, die vergleichsweise arbeitsintensiv sind, dafür aber umso weniger Energieträger, Fläche und Kapital benötigen.

Darüber hinausgehende Verkehrsmittel und Industrieprodukte sollten als sparsam ergänzend, quantitativ reduziert und innerhalb materieller Grenzen betrachtet werden.

Unter dem Begriff „Konvivialismus“ wird im konvivialistischen Manifest (2014) alles subsumiert, das

zur Suche nach Prinzipien beiträgt, die es den Menschen ermöglichen, sowohl zu rivalisieren wie zu kooperieren, und zwar im vollen Bewusstsein der Endlichkeit der natürlichen Ressourcen und in der geteilten Sorge um den Schutz der Welt. Und im Bewusstsein unserer Zugehörigkeit zu dieser Welt.

Als eine

universalisierbare […] Lehre […], [… deren] konkrete Anwendung notwendig lokal und situationsabhängig sein

werde, schreiben ihm das Kollektiv der Convivialistes die folgenden vier Grundprinzipien zu:

    • Prinzip der gemeinsamen Menschheit

Es existiert nur eine Menschheit, die in Person jedes ihrer Mitglieder zu achten ist.

    • Prinzip der gemeinsamen Sozialität

Menschen als soziale Wesen sind von ihren sozialen Beziehungen bestimmt.

    • Prinzip der Individuation

Ermöglicht werden müsse, die Entfaltung der Individualität, die Entwicklung eigener Fähigkeiten, frei sein und handeln zu können – nur begrenzt durch das Gebot der Vermeidung von Schäden gegenüber anderen Menschen.

    • Prinzip der Konfliktbeherrschung

Der Ausdruck der eigenen Individualität kann eine legitime Form des Opponierens gegeneinander hervorrufen. Den bindenden Rahmen bildet hier die „gemeinsame Sozialiät“ im Sinne einer schöpferischen Rivalität anstelle einer zerstörerischen.

Dem in eine manifeste Form gegossenen Konvivialismus eine greifbare Entsprechung in unseren realen Gesellschaften zu verschaffen – dazu dürfen wir uns aufgerufen fühlen.


Literaturquellen:

Paech, Niko (2014): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, 8. Auflage, München: oekom verlag, S. 59
[ISBN 978-3-865-81181-3]

sowie

Adloff, Frank/Leggewie, Claus (Hrsg.) (2014): Das konvivialistische Manifest. Für eine neue Kunst des Zusammenlebens, Bielefeld: transcipt Verlag, S. 11; S. 59-62
[ISBN 978-3-837-62898-2]

äquivalente Internetquelle:

diekonvivialisten.de

Kapitalismuskritik zwischen Anführungsstrichen: „Energiesklaven“-Metapher

Das „fossile Energieregime“ unserer Zeit stellt weit mehr als nur eine spezifische Form der Energieversorgung dar. Das wird uns spätestens dann bewusst, wenn wir dessen Verschränkungen mit den Gewohnheiten unseres Lebens – von Freizeitaktivitäten bis hin zu Konsum- und Mobilitätsmustern – erfassen.

Bereits 1949 beschrieb der rumänische Schriftsteller und Diplomat Constantin Virgil Gheorghiu in seinem Roman 25 Uhr (1949/1951) einen „technischen Sklaven“ als

Gefahr, die alle Menschen bedroht

aufgrund der Besetzung der

lebenswichtigen strategischen Positionen unserer Gesellschaft, Armee, Verkehr, Versorgung und Industrie, um nur die Kardinalpunkte zu erwähnen

durch eben diesen „technischen Sklaven“ in einer ebensolchen Weltordnung,

der uns täglich tausenderlei besorgt. Er bewegt unser Auto, er zündet unser Licht an, er läßt das Wasser über unsere Hände fließen, wenn wir uns waschen, er […] erzählt uns erheiternde Geschichten, wenn wir den Knopf an unserem Raido drehen, er baut Straßen, durchschneidet Berge!

In Niko Paechs Befreiung vom Überfluss (2014) verweist der Begriff „Energiesklave“ – im Sinne von Gheorghiu – als

elementarer Stützpfeiler des modernen Lebens

auf eben solche technischen Innovationen/Hilfsmittel/Werkzeuge, welche der Verwandlung von

vormals körperlich zu verrichtende Arbeiten in maschinelle, elektrifizierte, automatisierte, digitalisierte, dafür aber umso energieabhängigere Vorgänge

Vorschub leisten.

Jean-François Mouhot (2011) geht sogar so weit, unsere Abhängigkeit hinsichtlich der Nutzung fossiler Energieträger mit jener des Herren von der Sklavenarbeit in Sklaverei-Gesellschaften zu vergleichen (vgl. Sommer/Welzer 2014). Selbst auf moralischer Ebene muss diese Analogie als angemessen gelten, denn letztlich fügen wir – beabsichtigt oder nicht und wenn auch zeitlich wie geografisch versetzt – anderen Menschen Leid zu durch unseren Einsatz fossiler Brennstoffe und den damit verbundenen Treibhausgasemissionen.

Zuspitzung findet dies noch in der Metapher desEnergiesklaven“ von John R. McNeill (2005), die Sommer und Welzer (2014) wie folgt entfalten: Demnach

benötigte zum Ende des 20. Jahrhunderts ein Mensch zur Aufrechterhaltung seines Lebensstandards durchschnittlich 20 solcher »Energiesklaven«, also das Äquivalent von 20 Arbeitskräften, die 24 Stunden pro Tag und 365 Tage pro Jahr für ihn arbeiten

würden.

Fragen wir uns alle für einen Moment: Wie viele „Energiesklaven“ halte ich mir, um meine gewachsene Komfortzone aufrechtzuerhalten? Oder halten wir es auch weiterhin mit Franz Beckenbauer und seiner Blindheit für Sklaverei – selbst dann, wenn sie (auch in seinem Namen) ganze Stadien errichtet?


Literaturquellen:

Gheorghiu, Constantin Virgil (1951): 25 Uhr, 4. Auflage, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, S. 58-68
[ISBN nicht verfügbar]

Paech, Niko (2014): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, 8. Auflage, München: oekom verlag, S. 40f.
[ISBN 978-3-865-81181-3]

sowie

McNeill, John R. (2005): Blue Planet. Die Geschichte der Umwelt im 20. Jahrhundert, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 3
[ISBN 978-3-893-31643-4]

Mouhot, Jean-François (2011): Past connections und present similarities in slave ownership and fossil fuel usage, In: Climatic Change, Volume 105, Issue 1-2, Cham: Springer International Publishing S. 329-355
[ISSN 1573-1480]

beide nach:

Sommer, Bernd/Welzer, Harald (Hrsg.) (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München: oekom verlag, S. 62
[ISBN 978-3-865-81662-7]