Kapitalismuskritik zwischen Anführungsstrichen: „imperiale Lebensweise“

Ulrich Brand und Markus Wissen (2011) prägen den Begriff der „imperialen Lebensweise„, worunter sie folgendes verstehen:

herrschaftliche Produktions-, Distributions- und Konsummuster, die tief in die Alltagspraktiken der Ober- und Mittelklassen im globalen Norden und zunehmend auch in den Schwellenländern des Südens eingelassen sind.

Als „imperial“ müsse diese Lebensweise auch deshalb gelten, weil ihre Voraussetzung in einem – dem Prinzip nach – schrankenlosen Zugriff auf u.a. Raum, Ressourcen und Arbeitskraft an anderen Orten besteht. Die Absicherung dieser Zugriffsmöglichkeiten erfolge dabei sowohl auf rechtlicher, politischer bis hin zu: gewaltförmiger Ebene. Exklusivität bestimme letztlich diese Lebensweise, da sie darauf beruhe, dass der Resssourcenzugang nicht allen Menschen in gleichem Maß gegeben ist.


Literaturverweis:

Brand, Ulrich/Wissen, Markus (2011): Sozial-ökologische Krise und imperiale Lebensweise. Zu Krise und Kontinuität kapitalistischer Naturverhältnisse, In: Demirovic, Alex/Dück, Julia/Becker, Florian/Bader, Pauline (Hrsg.): VielfachKrise. Im finanzmarktdominierten Kapitalismus, Hamburg: VSA Verlag, S. 79-84
[ISBN 978-3-89965-404-2]

Kapitalismuskritik zwischen Anführungsstrichen: „Reflexionsarenen“

Es sei bezeichnend für die bestehende nicht-nachhaltige gesellschaftliche Praxis der expansiv-extraktivistischen Moderne, so beschreiben es Bernd Sommer und Harald Welzer (2014) in ihrem Transformationsdesign, dass sie

jeweils Reflexionsarenen einrichtet, um den Normalbetrieb nicht zu stören und in Funktion zu halten. Das liegt in der Logik einer gesellschaftlichen Arbeits- und Funktionsteilung, die für moderne Gesellschaften charakteristisch ist: Es wird eine Reflexionsindustrie zum Thema Nachhaltigkeit etabliert, die überwiegend friedlich mit den fortgesetzten nicht-nachhaltigen Produktions- und Konsumptionsverhältnissen koexistiert. Das kann man nicht nur im Bildungsbereich [Beispiel: sog. »Bildung für nachhaltige Entwicklung« (BNE)] beobachten, sondern auch in der Klimapolitik, in der Mobilitätsentwicklung, beim Verbraucherschutz, wo auch immer: Jeweils etablieren sich reflexive Teilsysteme (Verbraucherberatung, Climate Service Center, CO2-Rechner), die die Verfahren des gesellschaftlichen Stoffwechsels selbst unberührt lassen.


Literaturverweis:

Sommer, Bernd/Welzer, Harald (Hrsg.) (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München: oekom verlag, S. 38f.
[ISBN 978-3-865-81662-7]

Postwachstum zwischen Anführungsstrichen: über „mentale Infrastrukturen“

Bernd Sommer und Harald Welzer (2014) lassen erkennen, dass ein Transformationsdesign ihren Typs, welches Wege in eine zukunftsfähige Moderne zumindest als betretbar ausgewiesen haben kann, an weit mehr als nur äußeren Bedingungen anzusetzen hat:

Es kommt also darauf an, nach Ausgängen aus jenem Korridor zu suchen, der die Zivilisierungsrichtung umgedreht und Demokratie, Staatlichkeit, Freiheit sukzessive immer mehr unter Stress geraten lässt. Allerdings sind solche Ausgänge nicht leicht zu finden, sind doch nicht nur unsere äußeren Lebens- und Überlebensbedingungen, die Infrastrukturen und Institutionen durch das expansive Kulturmodell geprägt, sondern auch die Innenwelten, also die »mentalen Infrastrukturen« (Welzer 2011), Wahrnehmungsweisen, Gewohnheiten, Routinen, Problemlösungsstrategien, Selbstbilder.

Diese mit der Wachstumsgesellschaft eng verbundenen Persönlichkeitsstrukturen halten demnach die Pfadabhängigkeit aufrecht, die uns die Suche nach alternativen Pfaden einstellen lässt, bevor wir sie starten können:

Die Transformation solcher kulturell-mentaler Formationen ist allenfalls in einem sehr schmalen Ausschnitt eine Aufgabe kognitiver Bearbeitung; da sie aus vorwiegend unbewussten Praktiken, Routinen, Gewohnheiten, Wahrnehmungsmustern etc. bestehen, muss ihre Veränderung vor allem praktisch vorgenommen werden […]. Ein Verlassen des konsumistischen Pfades beim Verhalten und Empfinden kann also nicht einfach postuliert oder durch moralische Appelle eingefordert werden, sondern nur […] im Zusammenhang mit der Etablierung neuer Sozialstrukturen gelingen.


Literaturverweis:

Sommer, Bernd/Welzer, Harald (Hrsg.) (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München: oekom verlag, S. 22f./106
[ISBN 978-3-865-81662-7]

Kapitalismuskritik zwischen Anführungsstrichen: „the molten god“

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Folgenden Monolog legt Ngũgĩ wa Thiong’o einem fiktiven Anwalt in Nairobi, Kenya, in seinem Roman Petals of Blood in den Kopf und Mund [es handelt sich beim nachfolgenden Text um eine deutsche Übersetzung aus dem Englischen]:

Es ist traurig, es schmerzt, bisweilen werde ich wütend, wenn ich die schwarzen Zombies, schwarze animierte Cartoons betrachte, die des Beherrschenden Tanz zu des Beherrschenden Stimme tanzen. Das werden sie mit Perfektion tun. Wenn sie aber müde davon sind oder sollte ich sagen: wenn wir müde davon sind, wenden wir uns der Kultur unseres Volkes zu und missbrauchen sie… nur zum Spaß, nach einer Flasche Champagner. Doch ich frage mich: welche andere Frucht erwarte ich denn von dem, was wir gesät haben? Gleichwohl schaue ich zurück auf die vergeudeten Chancen, auf die versäumten Gelegenheiten: auf die Stunde, den Tag, die Zeit, als wir, an der Wegkreuzung, die falsche Abzweigung nahmen.

Aaah, das war eine Zeit, an die wir uns erinnern sollten, als die ganze Welt – motiviert durch unterschiedliche Beweggründe und Erwartungen – wartete, sagte: sie, die Afrika und der Welt den Pfad von Mannhaftigkeit und von schwarzer Wiedergutmachung zeigten – was werden sie mit der Bestie anstellen? Sie, welche die Speere der Krieger in dem Blut der weißen Profiteure wuschen, von all denen, die sie versklavt hatten zum Dienst für das geschmolzene Biest aus Silber und Gold – welchen Tanz werden sie nun in der Arena tanzen?

Wir hätten alles tun können, damals, denn unser Volk stand hinter uns. Doch wir, die Anführer, wählten den Flirt mit dem geschmolzenen Gott, ein blindes, taubes Monster, das uns hunderte Jahre lang geplagt hatte. Wir argumentierten: was falsch ist, ist die Hautfarbe der Menschen, die diesem Gott dienten; unter unserer Pflege und Vormundschaft werden wir den Monster-Gott zähmen und ihn unseren Willen durchsetzen lassen. Wir vergaßen, dass er schon immer taub und blind gegenüber menschlichem Leiden gewesen ist. Also errichten wir das Monster und es wächst und wartet auf mehr – und nun sind wir alle seine Sklaven. In seinen Schreinen knien wir und beten und hoffen.

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