Postwachstumsskepsis: Edenhofer und die CO2-Steuer-Illusion

Global Commons and Climate Change“ stecken im Namen des Berliner Forschungsinstituts, dessen Direktor Ottmar Edenhofer ist. Und sein Chefökonomen-Posten in Potsdam bezieht sich auf „Klimafolgenforschung„. Im Weltklimarat steht er einer AG zur Milderung des Treibhauseffektes vor. Wie betrachtet dieser Mann eine Transformation hin zu einer entwachsenen oder auch: Postwachstums-Gesellschaft?

Den Leuten sei bislang noch nicht bewusst,

wie tiefgreifend der gesellschaftliche Transformationsprozess zur Begrenzung des Klimawandels

ausfallen müsse. Er verzeichnet eine Erweiterung des

traditionelle[n] Tugenkatalog[s]

und begrüßt diese in Form einer

Änderung des Konsumverhaltens

hin zu beispielsweise Fleisch-, Auto und Flugverzicht grundsätzlich. Er ist überzeugt: Ansichten, die uns glauben machen würden, dies genüge, führten in die Irre. Dann bricht schließlich das aus ihm heraus, was u.a. von Paech (2014) als Mythologisierungen von Fortschritt und Technologie begriffen wurde und unter „Fortschrittsillusion“ firmiert:

Wir brauchen Innovationen und technische Durchbrüche. Umweltschützer gelten als Behinderer und Miesmacher des technischen  Fortschritts. Es geht heute darum, dass wir dem technischen Fortschritt eine andere Richtung geben.

Diesen Richtungswechsel des Fortschritts glaubt Edenhofer über einen (dauerhaft steigenden) Preis für den Ausstoß von CO2 anschieben zu können:

Er wird die Wirtschaft nicht ruinieren, sondern Anreiz geben, Technik zu entwickeln, die weniger Treibhausgase ausstößt.

In seinen Augen ist

Umweltpolitik […] nicht primär Verhinderungspolitik, sondern bedeutet Ermöglichung, und zwar von technischem Fortschritt.

Intensitäten von Material, Energie und Kohlenstoff ließen sich auf diesem Weg verringern, gar eine Kreislaufwirtschaft in Gang bringen. Ein Glücksversprechen (Edenhofer erinnert in diesem Zusammenhang an die wunderbar heilsame Wirkung der Ökosteuer auf die Rentenkassen) inklusive.

Dann möchte Edenhofer gern noch den Ressourcenhunger von Wachstum differenziert sehen: er könne nicht erkennen, dass

jedes Wachstum im gleichen Umfang Ressourcen frisst.

Hinter diesen Worten würde Paech wohl zu Recht die „Mär vom ‚grünen Wachstum‘“ vermuten.

Dass eine gewisse Strecke auf dem Transformationspfad zurückzulegen sei, bevor Null-Emmission in Sicht kämen (2050 ist sein Zeitfenster fürsaubere Technologie„), will Edenhofer betont wissen. Nur losgehen müssten wir schon mal. Es erscheint ihm „aberwitzig„, was mit der „derzeitige[n] Debatte“ verknüpft wäre: wer könne denn ernsthaft wollen,

dass die Lebenserwartung nicht mehr zunimmt, das Gesundheitssystem nicht besser wird, das Bildungssystem auch nicht. Wir wollen kein Leid mehr lindern?

Was also meint er mit der „derzeitigen Debatte„, die sich letztlich um

Fatalismus, diese heimliche Lust am Untergang

drehe?

Es geht aus meiner Sicht nicht um Wachstumsverzicht. Das ist die völlig falsche Perspektive.

Wachstumsverzicht bedeutet der Logik von Herrn Edenhofer folgend also: Lebenserwartungsstagnation, Stillstand im Gesundheits- und Bildungssystem sowie eine Absage an die Linderung von Leid.
Im Gegensatz beinhalte der CO2-Preis einerseits die Erkenntnis,

dass wir heute zu viel Naturkapital verbrauchen und zu wenig in die kommenden Generationen investieren.

Andererseits sei dieses Preisschild für Kohlenstoffdioxid als Anreizsystem für

Strukturwandel[…,] Innovationen bei der Arbeits- und Ressourcenproduktivität

geeignet. Mehr Bildungs-, Forschungs-, Entwicklungsinvestitionen, auch mehr zur Armutsbekämpfung und ins Gesundheitssystem will Edenhofer aufgebracht sehen. Durchaus lobenswerte Einsatzfelder für die Gewinne aus der von ihm geforderten CO2-Steuer.

Will er aber letztlich nicht nur Kohlenstoffextraktivismus (vgl. Welzer 2013) besteuern, um in ein postfossiles Energieregime einzutreten, welches – nur scheinbar vom Ressourcenverbrauch entkoppelt – regelrecht begrünt weiterwachsen darf, um eine vermeintliche Stagnation des Glücks aufzuhalten?

Wer hier wohl noch nicht ganz dahin vorgedrungen ist,

wie tiefgreifend der gesellschaftliche Transformationsprozess

nicht nur fürdie Leute„, sondern auch für einenChefökonomender Klimafolgenforschung tatsächlich ausfallen wird…


Literaturverweise:

Edenhofer, Ottmar/Gersmann, Hanna (Interview) (2015): »Glück«, In: taz.zeozwei, 04.2015, S. 16f.; S. 20
[ISSN 2194-1246]

Paech, Niko (2014): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, 8. Auflage, München: oekom verlag, S. 25-36; S. 71
[ISBN 978-3-865-81181-3]

Welzer, Harald (2013): Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand, Lizenzausgabe, Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg, S. 18ff.
[ISBN 978-3-763-26634-0]

Kapitalismuskritik zwischen Anführungsstrichen: „Energiesklaven“-Metapher

Das „fossile Energieregime“ unserer Zeit stellt weit mehr als nur eine spezifische Form der Energieversorgung dar. Das wird uns spätestens dann bewusst, wenn wir dessen Verschränkungen mit den Gewohnheiten unseres Lebens – von Freizeitaktivitäten bis hin zu Konsum- und Mobilitätsmustern – erfassen.

Bereits 1949 beschrieb der rumänische Schriftsteller und Diplomat Constantin Virgil Gheorghiu in seinem Roman 25 Uhr (1949/1951) einen „technischen Sklaven“ als

Gefahr, die alle Menschen bedroht

aufgrund der Besetzung der

lebenswichtigen strategischen Positionen unserer Gesellschaft, Armee, Verkehr, Versorgung und Industrie, um nur die Kardinalpunkte zu erwähnen

durch eben diesen „technischen Sklaven“ in einer ebensolchen Weltordnung,

der uns täglich tausenderlei besorgt. Er bewegt unser Auto, er zündet unser Licht an, er läßt das Wasser über unsere Hände fließen, wenn wir uns waschen, er […] erzählt uns erheiternde Geschichten, wenn wir den Knopf an unserem Raido drehen, er baut Straßen, durchschneidet Berge!

In Niko Paechs Befreiung vom Überfluss (2014) verweist der Begriff „Energiesklave“ – im Sinne von Gheorghiu – als

elementarer Stützpfeiler des modernen Lebens

auf eben solche technischen Innovationen/Hilfsmittel/Werkzeuge, welche der Verwandlung von

vormals körperlich zu verrichtende Arbeiten in maschinelle, elektrifizierte, automatisierte, digitalisierte, dafür aber umso energieabhängigere Vorgänge

Vorschub leisten.

Jean-François Mouhot (2011) geht sogar so weit, unsere Abhängigkeit hinsichtlich der Nutzung fossiler Energieträger mit jener des Herren von der Sklavenarbeit in Sklaverei-Gesellschaften zu vergleichen (vgl. Sommer/Welzer 2014). Selbst auf moralischer Ebene muss diese Analogie als angemessen gelten, denn letztlich fügen wir – beabsichtigt oder nicht und wenn auch zeitlich wie geografisch versetzt – anderen Menschen Leid zu durch unseren Einsatz fossiler Brennstoffe und den damit verbundenen Treibhausgasemissionen.

Zuspitzung findet dies noch in der Metapher desEnergiesklaven“ von John R. McNeill (2005), die Sommer und Welzer (2014) wie folgt entfalten: Demnach

benötigte zum Ende des 20. Jahrhunderts ein Mensch zur Aufrechterhaltung seines Lebensstandards durchschnittlich 20 solcher »Energiesklaven«, also das Äquivalent von 20 Arbeitskräften, die 24 Stunden pro Tag und 365 Tage pro Jahr für ihn arbeiten

würden.

Fragen wir uns alle für einen Moment: Wie viele „Energiesklaven“ halte ich mir, um meine gewachsene Komfortzone aufrechtzuerhalten? Oder halten wir es auch weiterhin mit Franz Beckenbauer und seiner Blindheit für Sklaverei – selbst dann, wenn sie (auch in seinem Namen) ganze Stadien errichtet?


Literaturquellen:

Gheorghiu, Constantin Virgil (1951): 25 Uhr, 4. Auflage, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, S. 58-68
[ISBN nicht verfügbar]

Paech, Niko (2014): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, 8. Auflage, München: oekom verlag, S. 40f.
[ISBN 978-3-865-81181-3]

sowie

McNeill, John R. (2005): Blue Planet. Die Geschichte der Umwelt im 20. Jahrhundert, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 3
[ISBN 978-3-893-31643-4]

Mouhot, Jean-François (2011): Past connections und present similarities in slave ownership and fossil fuel usage, In: Climatic Change, Volume 105, Issue 1-2, Cham: Springer International Publishing S. 329-355
[ISSN 1573-1480]

beide nach:

Sommer, Bernd/Welzer, Harald (Hrsg.) (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München: oekom verlag, S. 62
[ISBN 978-3-865-81662-7]