Postwachstum zwischen Anführungsstrichen: auch „kontraintuitiv“ handeln

Den sozialökologischen Bewegungen attestieren Welzer und Sommer (2014): sie würden

regelmäßig institutionalisiert und vom Markt absorbiert

und in Teilmärkte abgedrängt. Diese in den Kapitalismus eingebaute Bewegungsbremse ließen sich dadurch erklären, dass

bislang nur selten die Produktions- und Reproduktionsverhältnisse der Gesellschaft

im Fokus dieser sozialökologischen Bewegungen gestanden hätten. Daher schlussfolgern Sommer und Welzer:

Transformationen (und Transformationsdesign) müssen daher – auch wenn das zunächst kontraintuitiv erscheint – auf der Ebene des Sozialen ansetzen und nicht bei Themen wie Energie, Umweltschutz etc. Erst auf der Ebene des Sozialen entscheidet sich die Frage, wie eine Gesellschaft eigentlich aussehen soll, in der man leben will.

An der Frage nach dem viel zitierten „guten Leben“ – und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dafür – kommen wir offenbar nicht vorbei. Und sie richtet sich vordringlich an jene Menschen, die sozialökologische Bewegungen in selbiger halten wollen: in Bewegung eben.


Literaturverweis:

Sommer, Bernd/Welzer, Harald (Hrsg.) (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München: oekom verlag, S. 68
[ISBN 978-3-865-81662-7]

Postwachstum zwischen Anführungsstrichen: die „Sinndimension“

Wenn Sommer und Welzer (2014) in ihrem Buch von Transformation „by design“ sprechen, können sie das nicht, ohne die Sinnfrage aufzuwerfen: Wofür sollten wir eine solche „intentionale Veränderung“ einleiten?

Tatsächlich gewinnen solche Ziele und Vorhaben [eine „Große Transformation“ in Richtung Nachhaltigkeit, die „Energiewende“ oder das „2-Grad-Ziel“] ihren Sinn ja erst darin, dass mit ihnen ein wünschenswerter gesellschaftlicher Zustand aufrechterhalten werden kann. Diese Sinndimension von Transformation gerät in der öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Debatte nicht in den Blick, weil sie sich auf technische und ökonomische Gesichtspunkte und auf Probleme der Implementierung eines neuen Energieregimes beschränkt.


Literaturverweis:

Sommer, Bernd/Welzer, Harald (Hrsg.) (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München: oekom verlag, S. 51
[ISBN 978-3-865-81662-7]

Postwachstum zwischen Anführungsstrichen: „Selbstdeprivilegierung“

Bernd Sommer und Harald Welzer (2014) werfen im Rahmen ihres Entwurfs eines Transformationsdesigns einen kurzen Blick in die Geschichte der Moderne – dieser zeige,

dass alle Modernisierungsschritte der kapitalistischen Industriegesellschaft Ergebnis von Konflikten um Privilegien waren: Das gilt für die Abschaffung der Sklaverei genauso wie für die Entkolonialisierung, für den Kampf um die Arbeitszeit genauso wie für die Frauenbewegung. Immer werden zuvor privilegierte Gruppen im Ergebnis deprivilegiert, und natürlich hat keine dieser Gruppen dem drohenden Verlust von Privilegien freudig zugestimmt und sich kampflos zurückgezogen. […]

Im Unterschied zu dieser frühen Phase der Industrialisierung setzt eine Transformation zu einer reduktiven Moderne heute aber auch die Bereitschaft voraus, sich selbst zu deprivilegieren. Da die Herausforderung lautet, ein historisch ungeheuer erfolgreiches gesellschaftliches Modell so umzubauen, dass wir seine zentralen Errungenschaften bewahren und zugleich den Ressourcenverbrauch radikal absenken, kommen wir um die Erkenntnis nicht herum, dass eine sozialökologische Transformation unweigerlich das Herunterfahren von materiellen Ansprüchen, die Umgewichtung von Werten, die Veränderung der wirtschaftlichen Praxis, der Mobilität, der Ernährung, des Arbeitens, der Freizeit, des Wohnens bedeutet – zumindest für jene, die bislang auf Kosten anderer (seien es die Marginalisierten im globalen Süden und andernorts oder die zukünftigen Generationen) an den Errungenschaften der expansiven Moderne teilhatten.


Literaturverweis:

Sommer, Bernd/Welzer, Harald (Hrsg.) (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München: oekom verlag, S. 48f.
[ISBN 978-3-865-81662-7]

Kapitalismuskritik zwischen Anführungsstrichen: „Reflexionsarenen“

Es sei bezeichnend für die bestehende nicht-nachhaltige gesellschaftliche Praxis der expansiv-extraktivistischen Moderne, so beschreiben es Bernd Sommer und Harald Welzer (2014) in ihrem Transformationsdesign, dass sie

jeweils Reflexionsarenen einrichtet, um den Normalbetrieb nicht zu stören und in Funktion zu halten. Das liegt in der Logik einer gesellschaftlichen Arbeits- und Funktionsteilung, die für moderne Gesellschaften charakteristisch ist: Es wird eine Reflexionsindustrie zum Thema Nachhaltigkeit etabliert, die überwiegend friedlich mit den fortgesetzten nicht-nachhaltigen Produktions- und Konsumptionsverhältnissen koexistiert. Das kann man nicht nur im Bildungsbereich [Beispiel: sog. »Bildung für nachhaltige Entwicklung« (BNE)] beobachten, sondern auch in der Klimapolitik, in der Mobilitätsentwicklung, beim Verbraucherschutz, wo auch immer: Jeweils etablieren sich reflexive Teilsysteme (Verbraucherberatung, Climate Service Center, CO2-Rechner), die die Verfahren des gesellschaftlichen Stoffwechsels selbst unberührt lassen.


Literaturverweis:

Sommer, Bernd/Welzer, Harald (Hrsg.) (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München: oekom verlag, S. 38f.
[ISBN 978-3-865-81662-7]

Postwachstum zwischen Anführungsstrichen: über „mentale Infrastrukturen“

Bernd Sommer und Harald Welzer (2014) lassen erkennen, dass ein Transformationsdesign ihren Typs, welches Wege in eine zukunftsfähige Moderne zumindest als betretbar ausgewiesen haben kann, an weit mehr als nur äußeren Bedingungen anzusetzen hat:

Es kommt also darauf an, nach Ausgängen aus jenem Korridor zu suchen, der die Zivilisierungsrichtung umgedreht und Demokratie, Staatlichkeit, Freiheit sukzessive immer mehr unter Stress geraten lässt. Allerdings sind solche Ausgänge nicht leicht zu finden, sind doch nicht nur unsere äußeren Lebens- und Überlebensbedingungen, die Infrastrukturen und Institutionen durch das expansive Kulturmodell geprägt, sondern auch die Innenwelten, also die »mentalen Infrastrukturen« (Welzer 2011), Wahrnehmungsweisen, Gewohnheiten, Routinen, Problemlösungsstrategien, Selbstbilder.

Diese mit der Wachstumsgesellschaft eng verbundenen Persönlichkeitsstrukturen halten demnach die Pfadabhängigkeit aufrecht, die uns die Suche nach alternativen Pfaden einstellen lässt, bevor wir sie starten können:

Die Transformation solcher kulturell-mentaler Formationen ist allenfalls in einem sehr schmalen Ausschnitt eine Aufgabe kognitiver Bearbeitung; da sie aus vorwiegend unbewussten Praktiken, Routinen, Gewohnheiten, Wahrnehmungsmustern etc. bestehen, muss ihre Veränderung vor allem praktisch vorgenommen werden […]. Ein Verlassen des konsumistischen Pfades beim Verhalten und Empfinden kann also nicht einfach postuliert oder durch moralische Appelle eingefordert werden, sondern nur […] im Zusammenhang mit der Etablierung neuer Sozialstrukturen gelingen.


Literaturverweis:

Sommer, Bernd/Welzer, Harald (Hrsg.) (2014): Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München: oekom verlag, S. 22f./106
[ISBN 978-3-865-81662-7]